Zähe Gruppenprozesse – Mögliche Schritte zu fließender Selbstorganisation.

Ein persönlicher Erfahrungsbericht über zähe Gruppenprozesse und 7 Tipps, die beim Permakultur Design Kurs für Fortgeschrittene geholfen haben.


Beim Permakultur Design Kurs für Fortgeschrittene wird die Teilnehmergruppe in Kleingruppen von sechs Menschen geteilt. Alle Kleingruppen entwickeln Gestaltungsideen für das gleiche Projekt. Durch Zufall bin ich in einer Gruppe gelandet, wo die Einzelnen einen sehr hohen Anspruch an sich selbst haben. Viele sind sich ihrem Perfektionismus bewusst, können gut Führungsrollen in Gruppen einnehmen und haben einen starken Wunsch nach Planungssicherheit und Kontrolle. Eine spannungsvolle Kleingruppe hat sich gebildet und zwischenzeitlich ist das gemeinsame Arbeiten sehr anstrengend. Wir lachen viel, wir diskutieren aber ebenso viel. Gerade bei den Fragen „Was ist der nächste Schritt ist? Welche Methode nehmen wir dafür?“ geraten wir regelmäßig in anstrengende und energieraubende Diskussionen. Eine Person macht einen Methodenvorschlag, zwei weitere reagieren darauf, die nächste Methode wird vorgeschlagen. Zum Schluss haben wir mehrere Methodenvorschläge mit jeweils etlichen Abwandlungen aber keine Entscheidung darüber was wir jetzt tun.

Dieses Muster habe ich in verschiedenen Gruppen beobachtet.

Ich denke, viele Gestaltende der Permakultur sind es gewöhnt, in aktiven Rollen zu arbeiten. Sie können gut Führungspositionen einnehmen, zum Beispiel als Kursleitende, und haben einen hohen Erfahrungsschatz, was denn aus der eigenen Perspektive jetzt die passende Methode sei. Loslassen vom gewohnten Vorgehen scheint schwer zu fallen und andere Methoden sowie der Wechsel zwischen diesen werden als chaotisch empfunden. Das sorgt für Frust und Spannungen, die sich dann im Gruppenprozess niederschlagen können.

Sehr gut konnte ich diesen Prozess/diese Situation wieder einmal auf dem Permakultur Design Kurs für Fortgeschrittene beobachten. Nach unserer Beobachtungsphase habe ich die anschließende Arbeit der Kleingruppe als chaotisch, unangenehm und frustrierend empfunden. Es gab immer wieder Diskussionen über die Methodik und der Umgangston wurde etwas achtloser untereinander. Ich habe dort zunächst überhaupt nicht verstanden, was genau gerade eigentlich passiert und habe mich persönlich sehr schnell aus dem Gespräch herausgehalten. Das war wohl ein Schutzmechanismus für mich selbst, denn ich hatte schon bald folgenden Gedanken in meinem Kopf:

Ihr habt ein Problem untereinander, dass ich nicht verstehe und das mich nicht betrifft.

„Ihr“ bezieht sich dabei hauptsächlich auf die Gruppenmitglieder, die intensiv über das weitere Vorgehen diskutiert haben. Ich selbst beobachte gewisse Spannungen und suche mir eine Aufgabe außerhalb der Kleingruppe, zum Beispiel für die Dokumentation von unserem Projekt. Das diese Spannungen nichts mit „mir“ zu tun haben, sondern nur mit „den anderen“ ist natürlich totaler Unsinn, denn da ich aktiv am Projekt mitarbeiten möchte, betrifft auch mich dieses Problem. Selbst wenn ich es nicht direkt verursacht habe, kann ich an einer gemeinschaftlichen Lösung mitarbeiten.

Wie genau sind wir mit dem angespannten Gruppenprozess umgegangen?

Das Thema unseres Kurses ist die Vertiefung der permakulturellen Gestaltungswerkzeuge. Die inhaltliche Aufgabe heißt für uns: Gestaltet 480 Hektar Kleingartenfläche im Bremer Westen neu. Die Bewohner der Gegend sind eher einkommensschwach und die Kleingärten haben mit viel Leerstand der einzelnen Parzellen zu kämpfen. Auch wenn die Gestaltung eher landbasiert ist, sollen wir uns ebenfalls mit der sozialen Gestaltung der Kleingärten und des Stadtteils selbst beschäftigten.

Wir finden schnell erste Methoden für unseren Start in die Beobachtung und sind in einem regen Austausch. Als es um die Analyse und mögliche Designideen geht, verfallen wir jedoch immer wieder in vorher genannte Muster mit intensiven Diskussionen. Am Morgen vor dem Präsentationstag ist unsere Kleingruppe nicht mehr arbeitsfähig und auch etwas zerteilt. Einige haben Lust, an den Planungsideen für die Kleingärten weiterzuarbeiten, andere sind mit dem Gruppenprozess überfordert und wollen genau an diesem Thema weiterarbeiten. Diese Spaltung zeigt sich in der Morgenrunde unserer Kleingruppe deutlich, bei der viele persönliche Reflektionen zu unserem Prozess hervortreten. Nach dieser eher emotionalen Morgenrunde fassen wir den Entschluss, zunächst für 15 Minuten in zwei Untergruppen zu gehen und die nächsten möglichen Schritte zu erarbeiten: einmal für die Planungsideen, also das Kursziel, und einmal für unseren weiteren Gruppenprozess. Auf Grund der Kürze der Zeit kommen wir in der Untergruppe zum Gruppenprozess schnell auf mögliche Ideen zur Verbesserung unserer Arbeit untereinander. Die zentralen uns leitenden Fragen sind:

„Was brauchen wir als Gruppe, damit die Zusammenarbeit leichter wird? Was wäre das Beste, was uns passieren kann?“

Nach den 15 Minuten kommen wir wieder zusammen und beschließen, uns sofort und ausschließlich dem sozialen Prozess in unserer Kleingruppe zu widmen. Wir planen dafür zunächst eine Stunde ein, haben aber am Ende eher zwei bis drei Stunden dafür genutzt. Dies war nur möglich, weil wir in diesem Moment als gesamte Kleingruppe folgendes beschlossen haben: Selbst wenn wir hier kein Planungsergebnis für die Kleingärten abliefern sollten, nehmen wir uns die Zeit für uns und gucken was hier gerade eigentlich passiert. Wir pausieren unseren Designauftrag für die Kleingärten und analysieren zunächst unseren Gruppenprozess, um anschließend ein entspannteres Miteinander umzusetzen.

In diesem Moment fällt die Anspannung von mir ab und ich freue mich über den Mut, jetzt in die Selbstorganisation zum Gruppenprozess zu gehen. Ich glaube dieser Moment ist einer der wichtigsten in unserer Kleingruppe und zeigt, was Lebendigkeit sein kann: ungeplant, unsicher, komplex. Die zunächst angespannte Situation wird in kreative Spannung umgewandelt.

7 Tipps und Methoden, die wir uns in der angespannten Gruppensituation erarbeitet haben

  1. Eine Morgenrunde 2.0: Überspitzt gesagt, hat in der großen Gruppe vom gesamten Kurs jeder nur gesagt, wie er geschlafen hat, und dass er sich auf den Tag freue. Deshalb haben wir jeden Tag in der Kleingruppe eine ausführliche Morgenrunde gemacht, bei der es offen um die eigenen Emotionen, Kapazitäten, aber auch um Freude und Frust im Prozess gehen durfte. Erst durch diese offenere Morgenrunde ist uns die Problematik vom Kleingruppenprozess überhaupt aufgefallen.
     

  2. Gedankenlauschen im 2er Gespräch: Um weiter zu beobachten was überhaupt passiert ist, gehen wir in ein 2er Gespräch. Dabei bilden sich die Paare so, dass sich Personen zusammenfinden, die am wenigsten in Kontakt miteinander stehen. Es wird zur Paarbildung laut die Frage gestellt: Mit wem stehe ich am wenigsten in Kontakt? Dadurch wird die Verbindung der schwächsten Beziehungen gestärkt. Gleichzeitig wird dadurch langfristig die gesamte Gruppenverbindung immer weiter gestärkt.

    Im Gedankenlauschen bekommt jede Person fünf Minuten lang Zeit und kann in Ruhe nachdenken und erzählen. Im Monolog wird mit den eigenen Gedanken und Empfindungen eine für alle gleich gestellte Frage beantwortet. Die Andere hört nur still, aber aufmerksam zu. Die Frage für das Gedankenlauschen heißt in unserem Fall: „Was war der Moment, wo ich ausgestiegen bin? Wo war ich wütend, traurig und wo habe ich Ja gesagt, obwohl ein Nein besser für mich wäre?“
     

  3. Runde mit Essenz vom Gedankenlauschen: Hier kann nochmal das Wichtigste der gesamten Kleingruppe mitgeteilt werden. Wichtig ist hierbei, dass nochmal jede Einzelne persönlich gehört wird. An dieser Stelle zeigten sich nochmal wichtige Emotionen bei Einzelnen. Das waren Tränen, aber auch Wut oder Unverständnis der gesamten Aufgabe gegenüber. „Wir designen hier so banal an Kleingärten herum, dabei gibt es weitaus wichtigere Themen wie Klimawandel, Arbeitslosigkeit... Insgesamt werden wir der Komplexität dieser Themen nicht gerecht.“ Auch wurde bei mehreren der Wunsch nach „Schnittstellen“ deutlich. Dabei soll es für Einzelne, die mal eine Einzelaufgabe übernommen haben, leichter werden, wieder in die gemeinsame Arbeit einzusteigen.
     

  4. Kurzinput Einigkeit: Anschließend gab es einen kurzen Vortrag, der uns nochmal eine andere Sichtweise auf unseren Gruppenprozess gegeben hat. Ich kann mir an dieser Stelle auch vorstellen, dass andere Themen oder Inhalte, wie die Gewaltfreie Kommunikation, die Kommunikationsempfehlungen nach Scott Peck oder auch Commoning eine ähnliche Rolle einnehmen könnten. Wichtig ist vor allem, die Qualität der Achtsamkeit zueinander zu stärken. Wir haben mit diesem Kurzinput nicht direkt weitergearbeitet, alleine das Hören des Gesagten hat die Stimmung und die Gruppenbindung bereits positiv beeinflusst. Anschließend wurde genau auf diese Dinge geachtet, ohne bewusst passende Methoden zu jedem Punkt festzulegen

    Wichtige Punkte, wie Einigkeit in Gruppen erzeugt werden kann1:
     
    • Humor, Lachen, albern sein, sich selbst zum Affen machen – dies hat das Ziel, Macht und Hierarchien abzubauen
    • Spielen und Singen
    • Körperkontakt
    • Alle werden gehört, auch Kinder, Frauen und Älteste
    • Naturverbindungen stärken, stärkt Einigkeit
    • Die Sichtweise erweitern: Unser Ziel, unsere Vision, unser Handeln ist nicht nur für uns, sondern für ein größeres Wohl.
    • Bei Konflikten zwischen Einzelnen werden diese gebeten, ihren Konflikt untereinander zu klären. Dabei können sie Unterstützung von einer oder mehreren Personen aus der Gruppe bekommen. Erst wenn Konflikte Einzelner geklärt sind, kann die gesamte Gruppe gemeinschaftlich zusammenarbeiten
       
  5. Gemeinschaftsstiftende Gruppenaktion: Die wichtigste Qualität hier ist es, vom Denken ins Fühlen oder Tun zu kommen. Diesen Punkt lösen wir aus unserer Kleingruppe heraus und bringen ihn in die gesamte Gruppe vom Permakultur Design Kurs für Fortgeschrittene (weil wir dort ja ähnliche Muster beobachtet haben).

    Wir singen zusammen ein Lied. Bei einem Teil der Strophen wird auf den Oberschenkeln geklatscht – auf den eigenen, aber auch auf dem von der Partnerin neben einem. Dadurch wird zusätzlich die Qualität Körperkontakt mit viel Lachen und Freude in die Gruppe gebracht – ganz wie im Kurzinput Einigkeit vorgeschlagen.

  6. Gruppenvereinbarung: Im letzten Schritt haben wir eine für uns passende Gruppenvereinbarung getroffen.

    • Wir führen die Achtsamkeitsglocke ein. Sobald einer nicht mehr mitkommt, oder in einer schnellen Diskussion eine Denkpause braucht, wird die Glocke geläutet und alle sind für eine Minute lang still.

    • Wir führen die Rolle des Engels ein: Zum Engel kann man für ein Zweiergespräch gehen, um wieder in die Gruppe reinzukommen, falls man sich ausgeschlossen fühlt. Ebenfalls fragt auch der Engel bei Einzelnen nach, falls er das Gefühl hat, dass sich jemand gerade etwas zurückzieht. Der Engel darf auch die Gruppe anhalten, falls es Bedarf gibt. „Störungen haben Vorrang.“ Die Rolle des Engels wird jeden Tag neu vergeben.

    • Unsere Entscheidungsfindungsmethodik umfasst zwei Punkte: Wer einen Methodenvorschlag macht, ist bereit diesen auch als Anleiterin umzusetzen. Zusätzlich orientieren wir uns am Konsent aus der Soziokratie mit den folgenden Fragen: „Hat jemand einen schwerwiegenden Einwand? Können alle mit dem Vorschlag mitgehen?“ Während beim Konsens alle Beteiligten für die selbe Entscheidung sein müssen, kann beim Konsent die Entscheidung auch getroffen werden, wenn es keine schwerwiegenden Einwände gibt.

    • Die Gruppe darf sich trennen, es ist okay „sein eigenes Ding“ zu machen.

  7. Die Bildung eines Ältestenrates: Ganz nebenbei, oder doch indirekt durch den Input zur Einigkeit angestoßen, hat sich in der Gesamtgruppe vom Kurs ein Ältestenrat gebildet. In dieser Gruppe waren ungefähr sechs Menschen, die alle über 45 Lebensjahre haben. Der Ältestenrat hatte sich zunächst nur zu einem Gespräch beim Kaffeetrinken getroffen. Später wurde bei der Abschlussfeier des Kurses jedoch eine Runde des Ältestenrates einberufen: die Ältesten vom Kurs haben sich in der Mitte der Gruppe versammelt, alle drumherum stehenden Jüngeren durften jetzt ihre Fragen an den Ältestenrat stellen. Die Antworten wurden mit bunten Wäscheklammern ausgeworfen und anschließend haben die Ältesten aus den zufällig am Boden liegenden Klammern „Hinweise gelesen“ und ihre Antworten danach ausgerichtet. Was zunächst nur der Unterhaltung galt, war dann oft weiser und tiefer, als zunächst im Lachen aller Anwesenden und Ältesten angenommen. Auf die Frage: „Wenn ich auf Reisen bin, wann genau weiß ich, dass ich angekommen bin?“ bekam ich beispielsweise folgende Antwort: „Ist wieder typisch, dass die Jugend ohne ihre Smartphones keinen Weg findet – Mensch ist doch ganz klar, du bist angekommen, wenn deine Füße müde sind!“

Zum Schluss möchte ich noch folgende Beobachtung teilen. Während dieses Gruppenprozesses hat sich ohne Absprachen und eher intuitiv eine „Mitte“ in unserem Gesprächskreis der Kleingruppe gebildet. Diese wurde nach und nach mit einem Tuch, Blüten, Blättern, der Achtsamkeitsglocke und einem Redestein ergänzt. Für mich stellt sich hier die Frage, welche Qualitäten eine Mitte hat und ob diese unseren Gruppenprozess auch positiv beeinflusste . Spannend ist auf jeden Fall, das mehrere Menschen ohne mündliche Absprachen hier intuitiv zusammen gestaltet haben.

Was können wir Permakulturgestaltende davon mitnehmen?

Interessant waren für mich die Rückmeldungen der anderen Teilnehmenden aus der gesamten Kursgruppe zu unserem Prozess in der Kleingruppe. Sie nahmen unseren Gruppenprozess aus der Außenperspektiven wahr und bekundeten großes Interesse daran , welche Faktoren oder Methoden uns konkret geholfen haben. Eine Rückmeldung war, dass wir möglicherweise stellvertretend für die anderen Gruppen diesen Prozess durchgemacht hätten. Wir waren in den Pausen oder auch Zwischenpräsentationen vom Designprozess sehr transparent mit unserem Prozess und haben erste Tipps geteilt. Allein das Wissen um Möglichkeiten hat auch bei den anderen Gruppen, so scheint es, für entspanntere Gestaltungsprozesse gesorgt. Ein weiteres Feedback war, wie überrascht eine Person war, dass wir bei der Zwischenpräsentation am Tag zuvor noch kein Ergebnis oder einen Plan vorliegen hatten - am Tag der finalen Präsentationen lag jedoch auf einmal ein sehr gutes Ergebnis auf dem Tisch. Ich glaube, dass dieses gute Ergebnis nur möglich war, weil wir als Kleingruppe zusammengewachsen sind. Einzelne durften aus der Gruppe gehen, wann immer sie es brauchten. Andere haben zusätzliche Aufgaben übernommen oder eben Ergebnisse unvollständig belassen. Die Einigkeit untereinander stimmte. Unsere geteilten Werte und die Gruppenvereinbarung ermöglichten im Anschluss eine viel effizientere Zusammenarbeit. Insgesamt kam die Gruppe in einen kreativen „Flow“, der für ein gutes Ergebnis sorgte.

Am Ende ist dieser zähe und zum Teil frustrierende Gruppenprozess, aus meiner Sicht, das beste gewesen, was uns hätte passieren können. Durch diesen ist eine hilfreiche Sammlung aus Methoden entstanden, die mir auch bei anderen Gruppenprozessen helfen wird. Auch gehe ich mit einem sehr zufriedenen Gefühl aus dem Permakultur Design Kurs für Fortgeschrittene heraus, da wir nicht nur einen guten Gruppenprozess gestaltet haben, sondern sich auch unser Planungsprojekt der Kleingärten sehen lassen kann.


1 basierend auf Circlewise Leadership/Verbindungsstiftendem Führen, mehr Informationen darüber auf www.circlewise.org

 

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