Wie können wir komplexe Systeme gestalten?

Bericht vom vertiefenden Fachkurs »Vernetztes Denken und Systemisches Kartieren«


Systemisches Kartieren, System mapping

Systemisches Kartieren – die Problemverschiebung am Beispiel des Kobrazüchters

Permakulturelle Gemüsegärtnerei, Agroforstsysteme und soziale Permakultur – das sind die grundlegenden Fachkurse im Basisjahr der Weiterbildung. Darin wird vor allem Fachwissen vermittelt und der Umgang mit Designprozessen geübt.

Die vertiefenden Fachkurse der Aufbauphase gehen noch einen Schritt weiter: Sie wollen durch ihre Inhalte den Teilnehmenden einen professionellen Umgang mit Permakulturwerkzeugen vermitteln. Im Kurs »Vernetztes Denken und systemisches Kartieren« werden zunächst die Grundlagen komplexer Systeme erklärt. Darauf aufbauend wird mit der Methode systemisches Kartieren (im englischen system mapping) gearbeitet und der Kurs durch Übungen zur persönlichen Intuition ergänzt. Der Zusammenhang zwischen systemischem Kartieren und Intuition erscheint zunächst unpassend. Doch behandeln beide dieselbe Frage: Wie müssen von uns gestaltete Systeme geschaffen sein, dass sie einen zukunftsfähigen Wandel unterstützen?

Komplexe Systeme

In permakulturellen Systemen streben wir an , dass die Elemente im System möglichst viele Verbindungen untereinander haben. Dadurch sollen möglichst stabile und resiliente Systeme entstehen. Jedes Element, zum Beispiel ein Komposthaufen, soll mehrere Funktionen haben, wie zum Beispiel Humusbildung, Abfallverwertung und Lebensraum für Tiere. Zusätzlich wird empfohlen, dass jede Funktion von mehreren Elementen getragen wird. Der Lebensraum für Tiere wird beispielsweise vom Komposthaufen, einem Teich und einer Wildobsthecke übernommen. Soweit so gut. Doch wie sehen diese Verbindungen und Verknüpfungen in weitaus größeren Systemen als einem Garten aus? Hierbei sei die Natur als komplexestes System zu nennen, zum Beispiel in Form des Regenwaldes. Eine mögliche Fragestellung wäre: Was passiert wenn wir den Regenwald abholzen (kurzfristig, langfristig sowie lokal vor Ort und global auf der gesamten Erde)? Bei der Darstellung und Analyse dieser sehr hohen Komplexität wird es schnell sehr unübersichtlich, denn es gibt noch mehr Elemente, noch mehr Funktionen und noch mehr Verbindungen untereinander.

Das systemische Denken und Kartieren hilft uns hier weiter. Es geht nicht mehr um das Verstehen der einzelnen Elemente, sondern um die Bewertung der Verbindungen zwischen ihnen. Dadurch können Permakulturgestalter ihre eigenen Designs und auch andere Systeme analysieren und sich einen guten Überblick verschaffen. Die grafische Darstellung, die immer weiter vereinfacht werden kann, erleichtert die Wahrnehmung der Komplexität. So können wir mit etwas Übung Entscheidungen bewusster treffen, da die Grundmuster klarer erkennbar sind.

Systemisches Kartieren

Die einzelnen Elemente werden beim systemischen Kartieren Variablen genannt, da sie sowohl messbare Werte beinhalten können, wie zum Beispiel 100 Hühner, oder auch nicht messbare Eigenschaften wie die Lebensqualität der Hühner. Die Verbindung zwischen zwei Variablen kann gleich, oder gegensätzlich sein. In dem Hühnerbeispiel wäre eine gegensätzliche Verbindung: mit steigender Anzahl der Hühner, sinkt die Lebensqualität. Eine gleiche Verbindung wäre: wenn die Anzahl der Hühner steigt, steigt auch der Platzbedarf.

Wenn alle Variablen mit Verbindungen untereinander verknüpft sind, ist es möglich, sehr weit aus dem System herauszuzoomen und eine möglichst hohe Abstraktion des Systems zu erreichen. Auf dieser sehr hohen Abstraktionsstufe lassen sich verschiedene Schleifen und Muster erkennen, die in vielen Systemen vorkommen und einen Rückschluss auf die Qualität des Systems ermöglichen. Eines dieser Muster wäre beispielsweise das Muster der »Fehlkorrekturen«, auch »Problemverschiebung« genannt. Dabei gibt es ein Problemsymptom (zum Beispiel hohe Sterblichkeit durch Kobrabisse auf dem Land), dass durch eine Problemlösung (Prämie für gefangene Kobras) behoben wird. Allerdings entstehen bei diesem Muster unbeabsichtigte Konsequenzen (neuer Beruf: Kobrazüchter in der Stadt), die sogar noch schlimmer sein können, als das ursprüngliche Problemsymptom.

Was man dagegen tun kann? Das Problemsymptom möglichst an der Wurzel packen. Das heißt in erster Linie, es so klar wie möglich zu beschreiben. Im nächsten Schritt werden zunächst spielerisch in Diagrammen oder auf Papierkärtchen die aktuellen Lösungen probiert und geschaut, welche unbeabsichtigten Konsequenzen sie auslösen würden. Durch dieses Sichtbarmachen der Konsequenzen kann man versuchen, sie entweder zu vermeiden oder auf sie vorbereitet zu sein. Auch kann versucht werden, Verbindungen zu lösen oder so umzuändern, dass durch zusätzliche Variablen andere, eventuell günstigere Muster, erlangt werden.

Intuition: Kopf mit Gefühl verbinden

Im Gegensatz zu dieser sehr abstrakten Methode behandelt der gleiche Fachkurs das Thema Intuition. Der Zusammenhang zwischen der Analyse von komplexen Systemen und einem persönlichen Gefühl erscheint zunächst einander ausschließend und doch geht es um dieselbe Frage: Wie müssen von uns gestaltete Systeme geschaffen sein, dass sie einen zukunftsfähigen Wandel unterstützen?

Klassische Denkmuster sind zum einen das lineare Denken, das vernetzte Denken und das Denkmuster »In Resonanz gehen«. Ein lineares Denkmuster wäre beispielsweise die Annahme »Wenn du einen Komposthaufen im Garten hast, hast du einen nachhaltigen Garten.« Das vernetzte Denken geht einen Schritt weiter: Elemente wie Komposthaufen, Bioabfälle und Regenwürmer müssen mit so vielen Verbindungen und Funktionen wie möglich untereinander verknüpft sein. Beim Denkmuster »In Resonanz gehen« wird ständig beobachtet und darauf reagiert. Es entstehen sehr flexible Systeme, die auf Veränderungen schnell und effektiv reagieren. Eine gute Improvisation in solchen Systemen braucht eine gute Intuition. Nur durch viel Übung mit der Intuition und den eigenen Gefühlen wird es uns auf Dauer leichter fallen, auf plötzlich neu auftretetende Situationen schnell mit Improvisation zu reagieren. Doch wie kommen wir zur Intuition und zu unseren Gefühlen?

In erste Linie durch Vertrauen und Übung. Die recht geläufige Aussage »auf das Bauchgefühl vertrauen« zeigt, dass wir die Verbindung zu unserer ganz persönlichen Intuition noch nicht verloren haben. Neben dem Bauchgefühl gehören auch Gewohnheiten, Körperwissen und eine intuitive Problemlösung zur Intuition.

Fazit zum vertiefenden Fachkurs

Die Themen systemisches Denken und Intuition können das vernetzte und verknüpfte Denken und dadurch Permakulturdesigner in ihrer Gestaltung unterstützen. Gerade das systemische Kartieren kann die Angst vor der Bearbeitung von großen, hochkomplexen Systemen nehmen und die übergeordneten Muster herausstellen. Für die Permakultur braucht die Methode des systemischen Kartierens unbedingt noch mehr Erfahrungen, um sich als festes Werkzeug der Gestalter zu etablieren. Die bisherigen Muster der Schleifen entstanden vor allem in sozialen und wirtschaftlichen Zusammenhängen. Für die sozialen und ökologischen Bereiche können nur einige der bisherigen Muster genutzt werden und es braucht mit hoher Wahrscheinlichkeit noch zusätzliche Muster.

Der Fachkurs wurde insgesamt von den Teilnehmenden der Aufbauphase mit Begeisterung aufgenommen. Viele möchten in Zukunft das systemische Kartieren als Methode für komplexe Systeme ausprobieren und auch der Intuition bewusst mehr Bedeutung geben.


Bereits erschienen im Permakultur Magazin, Ausgabe 2019 für Vereinsmitglieder. Hier kannst du Mitglied werden und dem Permakultur Institut e.V. beitreten.

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