sonnenstickstoff

Ein Diskurs über die Stickstoffdüngung


Sonnenblumenfeld

von Volker Croy

Alle Pflanzen benötigen Stickstoff, denn auch pflanzliche Eiweiße bilden sich aus Aminosäuren. Die dort namengebende Aminogruppe NH2 besteht aus Stickstoff und Wasserstoff. Die Pflanzentrockenmasse besteht aus ein bis fünf Prozent reinem Stickstoff. Stickstoff ist zwar mit 78 Prozent Hauptbestandteil der Luft, aber der Luftstickstoff N2 ist für Pflanzen nicht direkt nutzbar, er muss über Knöllchenbakterien, Cyanobakterien, durch Blitze oder andere Vorgänge in für Pflanzen verwendbare „mineralische“ Ionen NH4* und NO3- aufbereitet werden. In der Nahrungskette wird Stickstoff zu großen Teilen wiederverwendet, aber er wird auch wieder zu N2 umgewandelt. Stickstoff ist aufgrund seiner geringen Verfügbarkeit auf der Landmasse der natürlich begrenzende Wachstumsfaktor, so wie Phosphor im Süßwasser und Eisen im Salzwasser. Deshalb ist Stickstoffdüngung für die Pflanzenernährung und die Nahrungskette unerlässlich.

Warum mit Stickstoff düngen?

Düngen heißt nichts weiter, als die Pflanze direkt oder über den Boden mit benötigten Nährstoffen zu versehen. Auch wenn wir mit Grünschnitt mulchen, düngen wir indirekt die Pflanze.
Stickstoffdüngung steigert den Pflanzenwuchs und die Ernteausbeute erheblich. Dabei ist es egal, ob er aus organischen Quellen wie Mulch, Mist oder Kompost, oder mineralischen Quellen wie Salpeter stammt, denn die Pflanze nimmt ihn hauptsächlich als Ion auf. Dieses wird durch die Mineralisierung der organischen Masse erzeugt und ist nach dieser in der gleichen Form wie der schon mineralische Salpeter. Stickstoff ist aber im Gegensatz zu Phosphor oder Schwefel ab einer gewissen Menge schädlich. Bei Stickstoffüberdüngung baut die Pflanze einfach mehr Eiweiß in die Zellmasse ein, da sie die Stickstoffaufnahme nicht stoppen kann. Dadurch werden die Pflanzen nicht nur weich, übermästet und anfällig für Pilzkrankheiten, sie bieten auch Schädlingen wie Blattläusen mehr Eiweiß und ermöglichen so Massenvermehrungen.

Reinstickstoffgehalt im Garten

Im Garten sollte deshalb der Reinstickstoffgehalt bei der Düngung oder Freisetzung aus organischen Quellen nicht zu hoch sein. Der Stickstoffbedarf richtet sich nach der Kultur. Während Blumenkohl mit 33 Gramm pro Quadratmeter Bedarf die Spitze der Kulturpflanzen darstellt, ist alles über fünf Gramm pro Quadratmeter (50 Kilogramm pro Hektar) für Obst und Gehölze schon zu viel. Meist ist es für den Eigenanbau ausreichend mit Stickstoff aus Kompost oder Leguminosenkultur zu nutzen. Allerdings gibt es bei der letzteren ein Problem. Wenn der Gehalt an mineralischem Stickstoff im Boden einen gewissen Wert überschreitet (je nach Literatur acht bis zehn Gramm pro Quadratmeter1), gehen Leguminosen keine Verbindungen mit Knöllchenbakterien ein und verbrauchen lieber den mineralischen Stickstoff, der als Ion in der Bodenlösung vorliegt, anstatt noch mehr Stickstoff energieaufwendig zu binden.

Auch können Leguminosen bei einfacher Kultur nur etwa 15 bis 18 Gramm pro Quadratmeter binden, dann hören sie auf. Mehrfacher Schnitt, Entzug des Schnittguts und überjährige Kultur können den Wert noch steigern, indem die Pflanzen Masse entzogen bekommen und diese nachbilden müssen und somit mehr Stickstoff fixieren. Auch steht bei längerem Anbau einfach mehr Energie zur Fixierung zur Verfügung (ein Gramm Luftstickstoff binden kostet die Pflanze etwa 20 Gramm Kohlenhydrate2). Somit ist der Gehalt an Bodenstickstoff durch Leguminosenkultur für viele Gemüsearten und landwirtschaftliche Fruchtfolgen nicht ausreichend und stickstoffhaltige Biomasse muss von anderen Flächen umgelagert und auf wenigen Flächen konzentriert werden. Dem begegnet man mit externen Stickstoffdüngern von großflächiger Verlagerung wie Grünschnitt oder Mist bis hin zu mineralischen Stickstoffdüngern.

Bio-Anbauverbände lehnen mineralischen Stickstoffdünger ab

Stickstoffdüngung mit künstlichem, mineralischen Stickstoff ist „böse“, so haben es die Bio-Anbauverbände beschlossen. Kein mineralischer Stickstoffdünger darf im biologischen Anbau eingesetzt werden und da weisen sie auch immer wieder darauf hin. Warum ist die Frage.

Oft wird gesagt ein Kilogramm Stickstoff herzustellen benötigt zwei Liter Diesel und macht die Landwirtschaft so energieintensiv, aber das ist eine Ungenauigkeit. Denn um ein Kilogramm Stickstoff aus der Luft zu binden braucht man zwei Liter Dieseläquivalent, das heißt Energie im Wert von etwa zwei Litern Diesel.

Herstellung von Sonnenstickstoff

Was macht da jetzt den Unterschied, fragt sich mancher. Der Unterschied ist, dass keine fossile Energie nötig ist. Es ist nur Energie nötig und da sie für viele schwer fassbar ist, hat man sie in etwas umgerechnet, was alle verstehen: Treibstoff beziehungsweise Diesel. Aber Stickstoffherstellung verbraucht Strom und Wärme, keinen Diesel direkt. Bis vor 20 Jahren war das primär Energie aus fossilen Quellen, da es fast nur fossile Energieträger gab, aber heute kann es auch aus regenerativen Quellen sein. Ist Stickstoff immer noch „böse“, wenn er mit Windenergie erzeugt wird oder mit Sonne? Gibt es „guten“ Sonnenstickstoff und „bösen“ Dieselstickstoff?

In südlichen Ländern wie Spanien oder Italien könnte man Solarkraftwerke bauen, die die nötige Wärme und den nötigen Strom für die Stickstoffsynthese durch gebündelte Sonnenstrahlung und Dampfkreisprozesse erzeugen. Stickstoffverbindungen sind ein hochwertiger aber gefährlicher Energieträger denn viele Sprengstoffe sind Stickstoffverbindungen und die Produktion sollte in einigermaßen friedlichen Ländern erfolgen.

Bisher gibt es aber noch nicht viel außer Überlegungen, weil der Bedarf noch problemlos anderweitig gedeckt wird.

Und die anderen Dünger?

Was bei der Stickstoff-aus-Diesel-Debatte übersehen wird: Was ist mit den anderen Mineraldüngern? Die Bio-Anbauer nutzen sie auch: „Biologischer Anbau“ ist konventioneller Anbau mit Einschränkungen. Kreislaufwirtschaft wird sogar mehr behindert als beim konventionellen Anbau, da Klärschlämme bei biologischem Anbau als Dünger verboten sind, egal welcher Herkunft und Reinheit. Bio-Anbau muss auch mineralischen Phosphor, Kali, Schwefel und all die anderen Dünger zuführen. Aber diese Minerale werden weniger, die Qualität schlechter und die Belastung der Minerale mit Schwermetallen höher. Also könnte man sie doch aufbereiten, die Schwermetalle entfernen oder die „guten“ Elemente herauslösen?

Jetzt überlegt die Europäische Union seit einigen Jahren strengere Schwermetallgrenzwerte für mineralische Dünger und einen Grenzwert für Uran im Phosphordünger einzuführen und scheitert regelmäßig an den Bemühungen der Bio-Anbauverbände. Diese wollen lieber mehr „natürliche“ Schwermetalle auf den Feldern als „unnatürliche“ Aufbereitung und somit „böse“ Chemie an ihren Düngemitteln zulassen. Dabei werden sie von konventionellen Bauern unterstützt, die die Düngepreise niedrig halten wollen. Die ganze Stickstoff-Diskussion wird dabei als Nebelkerze verwendet. Dabei ist Stickstoff der einzige Dünger, den wir unbegrenzt herstellen können und der außer Energie und einer großtechnischen Anlage nicht viel Ressourcen benötigt und nicht viel Dreck macht. Einige Phosphate wie Thomasphosphat aus Eisenverhüttung und Schwefelverbindung zum Beispiel aus Rauchgasentschwefelung entstehen als „Abfälle“ in industriellen Prozessen, sind aber gleichwohl im biologischen Anbau untersagt. Der Abbau der Primärressource, also Eisenerz und Kohle verursacht aber auch Umweltschäden. Alle anderen Dünger werden irgendwo direkt abgebaut und produzieren dabei die Umweltverschmutzung und Zerstörung wie jeglicher Abbau von Lagerstätten, egal ob es ein Bergwerk oder Tagebau ist.

Stickstoff im Grundwasser

Die Stickstoffbelastung des Grundwassers geht übrigens auch nicht auf mineralischen Dünger zurück – der ist nämlich teuer. Sondern kommt von Massentierhaltung und der unsachgemäßen, wenn auch rechtlich sauberen, Entsorgung der Exkremente der Tiere. Die übermäßige Güllebelastung der Böden belastet diese und der Regen wäscht das Nitrat ins Grundwasser. Überhöhte Nitratwerte im Grundwasser sind überall dort zu finden, wo es Massentierhaltung gibt, egal ob sie auf einen großen oder viele kleine Betriebe aufgeteilt sind.

Weitere Stickstoffquelle: Algenfarne

Für die kommende Stickstoffdebatte hat sich zusätzlich zum Sonnenstickstoff auch noch eine weitere, leichter erreichbare Quelle aufgetan: Algenfarne (Azolla). Diese gehen keine Verbindungen mit Knöllchenbakterien ein, sondern haben Cyanobakterien direkt in den Blättern und produzieren unentwegt Stickstoff. Diese Wasserpflanzen können somit weit mehr Stickstoff aus der Luft anreichern als Leguminosen und könnten dauerhaft den Stickstoffengpass von Teilen der Landwirtschaft lösen.


1 Schmidtke K. und Rauber R. 2000: „N-Effizienz von Leguminosen im Ackerbau“

2 Gollner, G., unbekanntes Jahr: Vortrag „Stickstoff-Bindung von Körnerleguminosen“


Bereits erschienen im Permakultur Magazin, Ausgabe 2019 für Vereinsmitglieder. Hier kannst du Mitglied werden und dem Permakultur Institut e.V. beitreten.

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