Kreislauffähig, langlebig und gesund? – Besuch beim Cradle-to-Cradle Kongress in Berlin

Der Schwerpunkt Landwirtschaft, Böden und Carbon-Management sowie Verpackungen und Lieferkette lockte 2020 nach Berlin zum internationalen Kongress der Cradle-to-Cradle Bewegung.

 


Grafik Cradle-to-Cradle & Permakultur

von Katharina Bachmann

 

Neben den Beiträgen zur künftigen Nahrungssicherung gab es zahlreiche Vorträge und Gespräche zu den Themen Kunststoffe und Verpackungen, neue Geschäftsmodelle und Finanzierung, Textilien und der Rückgewinnung von Fasern, Sanierung von Gebäuden, Druck und Technologie, Kommunen und Innovationen im Bau.
 

Aber was ist Cradle-to-Cradle eigentlich?

Das Konzept einer konsequenten Kreislaufwirtschaft ist in den 1990er Jahren aus der Feder eines deutschen Chemikers (Michael Braungart) und eines nordamerikanischen Architekten (William McDonough) entstanden. 2002 veröffentlichten sie das Buch Cradle to Cradle: Remaking the Way We Make Things (etwa: “von der Wiege bis zur Bahre: eine neue Art, Dinge zu produzieren”). Bei Cradle-to-Cradle geht es also nicht nur um die Produktion, sondern um den gesamten Lebenskreislauf von Produkten. Es gibt keinen Müll – alles ist Nährstoff und soll in biologischen oder technischen Kreisläufen gehalten werden. Um das für einzelne Produkte nachweisen zu können, wurde ein Cradle-to-Cradle-Zertifikat erdacht. Dieses Zertifikat achtet nicht nur auf die gesundheitliche Wirkung einzelner Produkte und deren Kreislauffähigkeit, sondern auch auf die Verwendung erneuerbarer Energien in der Produktion, auf einen vorbildlichen Umgang mit Wasser, sowie auf soziale Gerechtigkeit in den Betrieben. Das Siegel muss regelmäßig erneuert werden.

Was sind Anknüpfungspunkte von Permakultur und Cradle-to-Cradle?

Für die Permakultur gibt es dabei viele Anknüpfungspunkte. Menschen sind gemäß des Cradle-to-Cradle-Ansatzes als Nützlinge Teil der Natur mit dem Potenzial neue Wege zu beschreiten. Zudem sucht das Cradle-to-Cradle-Designkonzept passende Nutzungsszenarien für alle Produkte und Dienstleistungen – und erst danach werden Materialien ausgewählt, die gesund und geeignet sind möglichst kontinuierlich eingesetzt zu werden und zu zirkulieren. Die Nutzung und Generierung von regenerativen Energien und das Zelebrieren von Vielfalt klingt einigen Permakultur-Designprinzipien nach Holmgren sehr ähnlich (zum Beispiel Fange Energie ein, und bewahre sie oder Nutze und schätze die Vielfalt). Dass auch die soziale Sphäre miteinbezogen wird, macht das Konzept rund. Zudem sind das Zertifikat und die Bewegung international und wirken an ganz unterschiedlichen Orten weltweit auf Politik, Wirtschaft und Menschen. Angehenden Permakulturgestaltenden begegnet die Technosphäre weniger regelmäßig als die Biosphäre, dennoch ist es absolut sinnvoll auch in Kreisläufen für Gebrauchsgüter zu denken – und auch in David Holmgrens Permakultur Blume findet sich der Bereich „Gebaute Welt“ sowie „Werkzeuge und Technologien“. Eine enge Zusammenarbeit der Cradle-to-Cradle-Bewegung mit der Permakultur ist, denke ich, Earth und People Care und hoffentlich auch Fair Share nur zuträglich. Hoffentlich deshalb, weil die überwiegende Präsenz von Leitenden aus der Wirtschaft mir recht wenig Einblicke in die Verbesserung, beispielsweise der Arbeitsbedingungen Angestellter, gewährt hat. Wer in Kontakt treten, oder tiefere Einblicke haben möchte, sei verwiesen an https://c2c.ngo/

Welche Themen gab es auf dem Cradle-to-Cradle-Kongress?

Beim Kongress 2020 war der Cradle-to-Cradle-Anspruch der Kreislauffähigkeit an Produkte aus allen Bereichen des Lebens besonders sichtbar. Gewohnt werden soll in um- beziehungsweise rückbaubaren Räumlichkeiten, sofern sich die Bedürfnisse verändern. Abgelegte Kleidung soll nicht verbrannt werden, sondern die Fasern zurückgewonnen. Der von uns dem Boden entnommene Phosphor soll wieder auf den Feldern landen, vorzugsweise ohne Uranbelastung und ohne ausbeuterische Arbeitspraktiken. Im Einzelnen noch strittige Fragen, wie zum Beispiel ob das von der Firma Remondis entwickelte „TetraPhos®-Verfahren“ zur Rückgewinnung von Phosphorsäure aus der Asche von Klärschlamm die beste Möglichkeit ist, Phosphor zurück auf die Felder zu bringen, wurden auf dem Kongress nicht öffentlich debattiert. Im Vordergrund stand die Parole nicht durch Verbote, sondern mit ansprechend verpackten Ideen, gutem Beispiel und möglichst aufkommende Ängste vor sozialem Abstieg vermeidend “mehr als klimapositiv” zu wirtschaften. Es ist auch aus permakultureller Sicht durchaus nachvollziehbar, weshalb dieses möglichst wenig bedrohliche Szenario meines Erachtens so sehr den Cradle-to-Cradle-Kongress prägte. Nicht zuletzt sucht die Bewegung Politik, Wirtschaft und AktivistInnen zu vernetzen und möchte möglichst inklusiv agieren und ansprechend wirken. Zudem diente der Kongress den AktivistInnen auch als Feier des bisher Erreichten, anlässlich derer besonders das Positive in den Blick gefasst wurde. Im Sinne der kleinen und langsamen Lösungen, sowie der Integration macht all das Sinn. Angesichts der Herausforderungen war mir das allerdings zu wenig. Ich hätte mir einen klaren Verweis auf die Verantwortung aller gewünscht, die heute als Menschen den Planeten bevölkern, besonders an diejenigen, die bereits über Macht und Geld verfügen. Mehr Kampfgeist und Kompromisslosigkeit in der Sache und weniger Lob für Konzerne, die in kleinsten Margen Ökologie betreiben und sich mit Auftritten auf dem Kongress grüne Öffentlichkeitsarbeit erkaufen.

Erkenntnisse aus einzelnen Vorträgen

Landwirtschaft und Bodenmanagement – echte Kreisläufe schaffen

  1. Professor Hartmut Vogtmann, Präsident des deutschen Naturschutzrings (DNR), benannte das lineare Wachstumsmodell als Problem, denn dergleichen existiert nicht in der Natur. Die Spezialisierung, Intensivierung und Rationalisierung habe laut Vogtmann zu einem Verlust an Biodiversität, Arbeitsplätzen, Boden und Landschaft geführt, einhergehend mit enormen Treibhausgasemissionen. Er schlug vor, zunächst die Moorböden als nicht ackerfähig zu erklären und grünlandbezogene Milchproduktion auch als Touristenattraktion zu nutzen. Vogtmann zitierte Daten der Universität von Illinois, welche besagen, dass eine Erhöhung der Biodiversität auch eine Erhöhung der Biomasse nach sich zieht. Man habe die Leistung der Landwirtschaft nur an der Lebensmittelerzeugung gemessen. Wasser, Luft, und Lebewesen blieben außen vor. Es brauche, so Vogtmann, ein neues Verständnis von Landwirtschaft und ihrer Rolle in der Gesellschaft, besonders da Nachhaltigkeit nur durch eine Verhaltensänderung erzielt werden könne. Künftige Landwirtschaft sei von Multifunktionalität geprägt, sie erzeuge Lebensmittel und pflege Gemeinwohlgüter wie Luft, Wasser und Artenvielfalt, sowie den Wohlfahrtsfaktor Landschaft. Vogtmann sieht sie geprägt von Kooperation und nachhaltigem Wirtschaften gemäß Darwins These: “das bessere Gesamtsystem gewinnt” – ein Schelm, wer da an die Permakultur denkt. Auch die Preise müssten die ökologische Wahrheit sagen und Einkaufszettel an die Landschaft angepasst werden, die wir erleben wollen. Vogtmann regt an, nicht weiter die Äste abzusägen, auf denen wir sitzen (Brecht), er sieht Handlungsbedarf im Abbau ökologisch schädlicher Subventionen weltweit, in der Reduktion des Flächenverbrauchs, in der Einführung von Kreislaufwirtschaft unter Beachtung des Vorsorgeprinzips, Stopp dem „Land grabbing“, also dem spekulativen Kauf von Land durch Finanzinvestoren, und Stopp dem Artenverlust.
     
  2. Tobias Bandel, Managing Partner von Soil & More (eine Beratungsfirma, welche sich mit den durch Klimawandel entstehenden Risiken künftiger Landwirtschaft beschäftigt und Lösungsstrategien für diese entwickelt und berechnet) berichtete von einer neuen Logik der Finanzmärkte. Die Profitabilität heute sei nicht länger ausreichende Grundlage für Kredite. Dabei stützte Bandel seine Aussagen beispielsweise auf Aussagen der Bundesanstalt für Finanzdienstaufsicht (BaFin), welche die Finanzmärkte anwies, künftige Einbußen durch Klimakatastophen miteinzuberechnen. Dies gilt auch für Versicherer, wie zum Beispiel die Allianz, welche das Naturkapitalrisiko mit in die Bestimmung von Versicherungssummen einbezieht. Die Allianz versichert Betriebsunterbrechungen für verschiedenste Industrien, die auf unterschiedliche Art von Naturkapital abhängig sind. Wenn heute also eine LandwirtIn wirtschaftet ohne Boden, Klima, Wasser und Biodiversität zu schützen, generiert er oder sie Risiken nicht nur für sich, sondern auch für weitere, von ihm oder ihr abhängige Sektoren. Gleiches gilt natürlich auch für multinationale Konzerne. Nur wenn beispielsweise Humusaufbau betrieben würde, und somit Katastrophenschutz, sichere ein Kreditnehmer seine künftige Profitabilität, so Bandel. Die Logik: Humusabbau = Kostensteigerung. Die Beratungsfirma Ernst & Young berechnet mittlerweile mit hoch annahmenbasierten (!) Modellen die Kosten landwirtschaftlicher Produkte unter Einbeziehung des Klimas, der Biodiversität, des Wassers und so weiter. Das Resultat: Heute müssten Dinge getan werden, die zunächst teurer seien, wie zum Beipiel Gründüngung und Untersaaten, optimierte Düngung, weite Fruchtfolge und schonende Bodenbearbeitung, um in Zukunft profitabel wirtschaften zu können. Letztlich, so Bandel, zwinge uns der Finanzmarkt zur Ökologisierung. Die wichtigste Frage sei derzeit, wie man mehr Humus in die Erde bekommen könne. Dazu gelte es vor allem Schwarzbrache zu vermeiden und den Boden permanent bedeckt zu halten.
     
  3. Daniel Wyss von der Delinat AG sprach darüber, dass der beste Wein in reicher Natur entstehe. Die Delinat AG vertreibt Bioweine von circa 100 Winzerinnen und Winzern in Europa und hat eigene Richtlinien für diejenigen entwickelt, die ihre Weine über Delinat verkaufen möchten. Laut Wyss ist Nachhaltigkeit nicht mehr genug, es geht darum mit regenerativer Landwirtschaft via Bodenaufbau und Wasserretention das Klima zu beeinflussen. Dafür zitiert die Delinat AG lebendige Böden, holistisches Weidemanagement, Keyline Farming und Bäume im Weinbau als ausschlaggebende Strategien. Derzeit werden 3.000 Hektar nach der Delinat Methode bewirtschaftet. Laut Wyss gebe es in 20 bis 30 Jahren keinen Wein mehr aus Spanien und Portugal ohne Bewässerung – seine Hoffnung seien Wasserretentionssysteme. Man habe die Landwirtschaft in Monokulturen getrieben und müsse ihr nun einen Steigbügel bieten, so Wyss.

 

Cradle-to-Cradle-Landwirtschaft: Kohlenstoffsenke und Nährstoffkreislauf

  1. Steven Beckers, Gründer der Lateral Thinking Factory Consulting trat an um zu zeigen, dass Städte mehr Wasser und Ressourcen produzieren können, als sie brauchen. Er gestaltete wasserautonome Gebäude in Brüssel und stellte sein aktuelles Lieblingsprojekt vor: BIGH Farm in Brüssel. Dort werden mit Aquaponics Fische und Pflanzen erzeugt. Da erkrankte Fische in so einem System nicht mit Antibiotika behandelt werden können, befindet sich die BIGH Farm in einer ausführlichen Pionierphase bezüglich der optimalen Gestaltung der Wasser- und Nährstoffkreisläufe. Einbezogen werden auch lokale Jugendliche, das Projekt hat Modellcharakter und beeinflusst Belgiens Perspektive auf die Landwirtschaft. Beckers Ziel: das Projekt mit möglichst vielen weiteren vernetzen und es so absichern und nachhaltig gestalten. Momentan gibt es zusätzlich eine Pilzzucht und eine Fischräucherei, welche sich der Farm angegliedert haben.
     
  2. Dr. Maximilian Abouleish-Boes von der Sekem Holding in Ägypten berichtete von Sekems Plänen, die Sinai Halbinsel zu begrünen und lud ein, das Ökodorf zu besuchen. Er erklärte, dass das Sinai Gebiet Wettermuster in der ganzen Umgebung prägen und verändern könne. Abouleish-Boes gab an, er stelle sich die Frage, ob nicht viele Wüsten menschengemacht seien und von Menschen auch wieder begrünt werden könnten. Die Wüste zu begrünen bringt in Ägypten Ernährungssicherheit, deren soziale Dimension ebenso weitreichende Folgen hat. Sekem nutzt eine integrierte Herangehensweise aus Biomasse und Tieren um gleichzeitig auch benötigte Mikroorganismen zu unterstützen, lokale Baumarten wurden als Windschutz, Kohlenstoffspeicher und Wildtier-Habitat gepflanzt. Außerdem praktiziert Sekem einen Wechsel zwischen dem Anbau von Leguminosen, Pfefferminze und anderen Kräutern und Erdnüssen. 80% des Wassers in Ägypten wird von der Landwirtschaft genutzt, auch Sekem ist teilweise noch auf fossiles Wasser angewiesen. Jetzt in der Aufbauphase ist Sekem noch nicht in der Lage, seine Kosten zu decken, laut Abouleish-Boes dauert es noch 5 bis 10 Jahre bis Sekem unabhängig ist. Wer sich das „Wunder der Wüste“ ansehen möchte, kann sich über einen neuen Dokumentarfilm über Sekem freuen, der beim Pioneers of Change-Kongress live gezeigt wurde.

 


Videoempfehlung:

C2C Congress 2020 | Freitag 31.01.2020, auf Youtube circa 6 Stunden Länge

C2C Congress 2020 | Samstag 01.02.2020, auf Youtube circa 9 Stunden Länge

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