Kipppunkte im Klimasystem

Was sind eigentlich Kipppunkte? Und warum können sie so gefährlich sein?


Fridays For Future Leipzig: 2. Internationaler Klimastreik im Mai 2019. (Creative Commons: BY-SA Tobias Möritz)

Fridays For Future Leipzig: 2. Internationaler Klimastreik im Mai 2019. (Creative Commons: BY-SA Tobias Möritz)

Ein Kipppunkt: Auftauender Permafrostboden in Herschel Island, Kanada. (Creative Commons: BY Boris Radosavljevic)

Ein Kipppunkt: Auftauender Permafrostboden in Herschel Island, Kanada. (Creative Commons: BY Boris Radosavljevic)

Was ist ein Kipppunkt? Was bedeuten Kipppunkte für unseren Planeten? Dieses Video erklärt mit einfachen Worten die Folgen des Klimawandels. (Video auf Youtube 7:24 Minuten)

Was sind eigentlich die Kipppunkte im Klimasystem? Schon 2001 wies der Wissenschaftler für Erdsysteme, Hans Joachim Schellnhuber, auf die Möglichkeit von Kipppunkten im Klimasystem hin. Damit meinte er schwer vorhersehbare, irreversible Extremereignisse, die durch die globale Erwärmung ausgelöst werden können. Warum das Eintreten der Kipppunkte so gefährlich sein kann und warum das für die Permakultur relevant ist, erfährst du, wenn du weiterliest.

Welche Kipppunkte gibt es?

Es gibt je nach Publikation zwischen 16 und 20 Kipppunkte im Klimasystem. Da dies zu viele sind um auch nur oberflächlich auf sie einzugehen, gebe ich nur eine kurze Übersicht wieder. Hier die wichtigsten Kipppunkte im Überblick:

  1. Hitzestress im Amazonas-Regenwald

  2. Trockenheit und Brandgefahr in nördlichen Waldgebieten

  3. Rückgang der arktischen Eisbedeckung

  4. Auftauen des Permafrostbodens

  5. Methan-Ausgasungen aus den Ozeanen

  6. Störung von weltweiten Strömungssystemen

Von diesen sechs Kipppunkten möchte ich das Auftauen des Permafrostbodens und die Brandgefahr in nördlichen Waldgebieten näher beschreiben.

Brände im Polarkreis – Abtauen des Permafrostbodens?

Derzeit stehen Waldgebiete auf einer Fläche von über 100.000 Hektar im Polarkreis in Brand. Ungewöhnlich hohe Temperaturen haben dafür gesorgt, dass sich die Torfschicht auf der Oberfläche entzündet hat. Dies bedroht auch die umliegenden Waldflächen und den unterirdischen Permafrostboden. Torfbrände sind in der Region des Polarkreises nichts Neues – bisher brannte es fast jährlich im nördlichen Polarkreis. Die Dimension der Brände hingegen ist neu. Sowohl in Russland als auch in Alaska sorgen die Brände für eine Beschleunigung des Klimawandels. Fängt einer der Punkte gerade an zu kippen?

Bisher haben die Brände über 50 Millionen Tonnen CO2 freigesetzt – so viel wie Schweden in einem ganzen Jahr ausstößt. Tatsächlich sind die großen Brände für den Permafrost gefährlich. Je stärker sich der Boden erhitzt, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass er schmilzt oder sich entzündet. Permafrost besteht zu einem Großteil aus Methan – ein 25 Mal wirksameres Treibhausgas als Kohlenstoffdioxid. Nach Berechnungen einer Forschergruppe könnten bis zum Jahr 2100 knapp 60 Milliarden Tonnen CO2 aus nördlichem Permafrostboden freigesetzt werden.

Zum Vergleich: Weltweit wurden im Jahr 2012 34,5 Milliarden Tonnen Kohlenstoffdioxid vom Menschen ausgestoßen. 60 Milliarden Tonnen CO2 sind also eine ganze Menge – vor allem wenn man bedenkt, dass die Menschheit unbedingt Emissionen einsparen muss, um schlimmere Auswirkungen zu vermeiden. In den Permafrostgebieten sind zwischen 13.000 und 15.000 Milliarden Tonnen Kohlenstoffdioxid gespeichert1. Genug, um die Erde unbewohnbar zu machen.

Kipppunkte beeinflussen sich gegenseitig

Bereits das Eintreten eines einzelnen Kipppunkte kann für das weltweite Klimasystem gefährlich sein. Die Kipppunkte beeinflussen sich aber auch gegenseitig. Schlimmstenfalls kann das Eintreten eines Kipppunkts einen Domino-Effekt auslösen. Der Klimawandel könnte dadurch unberechenbar und unkontrollierbar werden.

Ein Beispiel: Der Amazonas-Regenwald ist einer der großen Lungenflügel im Klimasystem unseres Planeten. Wir Permakulturgestaltende wissen, wie regulierend Bäume auf ihre gesamte Umgebung wirken. Hitzestress im Amazonas-Regenwald führt zu erhöhter Brandgefahr, im August 2019 gab es im Amazonas über 70.000 Brandherde2 jede Minute wurden knapp drei Hektar Waldfläche vernichtet. Wie kann dieser auf den Amazonas begrenzte Waldbrand Auswirkungen auf die Waldbrandgefahr in Kanada, Alaska und Russland haben?

Durch die Brände und den damit verbundenen CO2-Ausstoß und die verminderte Fähigkeit der Wälder, CO2 aufzunehmen, steigt die globale Durchschnittstemperatur weiter an. Weitere Effekte des Amazonas-Regenwalds, die sich auf weltweite Strömungssysteme in der Luft und im Meer auswirken verändern sich, werden gestört. Auf diese Weise kann die Durchschnittstemperatur in völlig anderen Gegenden der Erde stark ansteigen. Dies sorgt wiederum für Hitzestress der Wälder in den betroffenen Gebieten und kann zu Bränden im Polarkreis führen.

Beide Phänomene sorgen für einen Rückgang der arktischen Eisbedeckung, denn auch in der Arktis steigt die Temperatur im Sommer stark an. Die Arktis ist mittlerweile im Sommer fast eisfrei. Eine eisfreie Arktis bedeutet weniger Reflektion des Sonnenlichts in den Weltraum und mehr Aufnahme des Sonnenlichts und damit Umwandlung in Wärme in den Ozeanen – die globale Durchschnittstemperatur steigt weiter an.

Diese Beispiele könnten ewig so weitergeführt werden. Die Kernaussage ist, dass Ereignisse wie die Waldbrände im Amazonas, das Abschmelzen der Arktis und die Torfbrände im Polarkreis nicht getrennt voneinander betrachtet werden sollten – selbst, wenn sie durch Brandstiftung verursacht worden sein könnte.

Die Zeit drängt – Klimazonen verschieben sich

Durch die weltweiten Veränderungen im Klimasystem verschieben sich die Klimazonen. Laut dem Worst-Case-Szenario des Welklimarats wird ganz Mittel- und Westeuropa ein subtropisches Klima haben. Schon jetzt sollten aber neue Ansätze gefunden werden, unsere Ökosysteme an die Klimazonenverschiebung anzupassen. Felder, Wälder, Flüsse und Seen sollten entsprechend in Modellversuchen bepflanzt werden. Beobachtung ist hier der Schlüssel – wir sollten herausfinden, was uns in Zukunft ernährt und zu widerstandsfähigen Ökosystemen beitragen kann. Die Permakultur hat dafür genau die richtigen Methoden an der Hand: Kluges Permakultur-Design hat das Potential viele der Herausforderungen der Klimazonenverschiebung zu lösen – das sollten wir auch an die Politik herantragen.

Es wird Zeit, dass die Permakultur-Bewegung sich auch mit anderen Bewegungen wie dem globalen Klimastreik vernetzt, um auf die Klimakrise aufmerksam zu machen. Dabei kann die Permakultur eine konstruktive Perspektive einbringen: das Fachwissen und die Intuition, die in gutem Permakultur-Design steckt, hilft dabei der Klimakrise zu begegnen. Praxisorte sind dabei die perfekten Anschauungsorte: Dort wird Permakultur-Design und Praxis erlebbar und erfahrbar. Ob im Gartenbau, der extensiven Landwirtschaft, in unseren sozialen Beziehungen oder im Gebäudebau – Permakultur kann in allen Lebensbereichen erlebbar werden. Die gegenwärtige Klimakrise kann nicht mit dem alten Denken der kapitalistischen Wachstumswirtschaft beendet werden. Neue Ansätze werden überall gedacht und erprobt. Die Permakultur-Bewegung ist mittendrin!


 


 

1 https://www.deutschlandfunk.de/permafrost-auf-duennem-eis.740.de.html?dram:article_id=361564

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