Ist Permakultur-Landwirtschaft das neue Bio?

Es geht vorwärts Richtung standortangepasste und ressourcenorientierte Lebensmittelproduktion in der Schweiz


Mischkultur aus verschiedenen Salaten, Kohl und Fenchel auf dem Hof Morgenrot in der Schweiz

Mischkultur aus verschiedenen Salaten, Kohl und Fenchel auf dem Hof Morgenrot in der Schweiz

Unterschied in der Fruchtfolge bei Permakultur, Agroforst, Bio und ökologischer Leistungsnachweis (ÖLN)

Unterschied in der Fruchtfolge bei Permakultur, Agroforst, Bio und ökologischer Leistungsnachweis (ÖLN)

Gemeinde Roggwill, Kanton Thurgau, 1945. Landwirtschaft Luftbild

Gemeinde Roggwill, Kanton Thurgau, 1945. Reproduziert mit Bewilligung von swisstopo (BA20002)

von Hans Balmer

Noch vor wenigen Jahren kannte man die Permakultur in der Schweiz vor allem auf abgelegenen Selbstversorgungshöfen. Heute entdecken auch grössere, für den regionalen Markt produzierende Landwirtschaftsbetriebe die Vorzüge der Permakultur-Landwirtschaft. Ab dem Jahr 2020 wird Permakultur in den offiziellen Flächenkatalog der landwirtschaftlichen Kulturen aufgenommen.

Die Landwirtschaft soll einen wesentlichen Beitrag leisten zur sicheren Versorgung der Bevölkerung mit qualitativ hochstehenden, vielfältigen, inländischen Lebensmitteln. Sie soll die natürlichen Lebensgrundlagen und die Kulturlandschaft erhalten und pflegen. Die Produktion soll nachhaltig, bäuerlich und bodenbewirtschaftend, naturnah, umweltfreundlich, tierfreundlich, klimafreundlich, standortangepasst und ressourceneffizient sein. Dies alles soll durch landwirtschaftliche Selbsthilfe erreicht werden, ergänzend gefördert durch staatliche Direktzahlungen für besonders ökologische und gemeinwirtschaftliche Leistungen.

Was sich liest wie ein Lehrbuch der Permakultur, sind Stichworte, die in den Artikeln 104 und 104a der Schweizer Bundeverfassung und im Landwirtschaftsgesetz stehen. „Standortangepasste und ressourceneffiziente Lebensmittelproduktion“ wurde 2017 mit einer Volksabstimmung in den Artikel 104a der Bundesverfassung eingefügt. Im Begriff „gemeinwirtschaftlich“ erkennt man sogar die sozialen und gesellschaftlichen Aspekte der Permakultur im Landwirtschaftsgesetz. Man könnte behaupten, dass das schweizerische Landwirtschaftsrecht eine Permakultur-Landwirtschaft verlangt.

Doch sind Permanente Agrokulturen keine neue Erfindung. Bei einem Blick auf das Luftbild der Gemeinde Roggwil im Kanton Thurgau aus dem Jahr 1945 erkennt man eine Art Permakultur-Landwirtschaft. Millionen von „unrentablen“ Obstbäumen wurden nach dem zweiten Weltkrieg in staatlichen Fällaktionen eliminiert. Heute gewinnt eine ähnliche Produktionsform unter dem Begriff Agroforst wieder an Bedeutung.

Doch was ist Permakultur-Landwirtschaft? Woran kann man Permakulturhöfe erkennen? Eine mögliche Antwort kann ein Vergleich bieten:

Unterschied in der Fruchtfolge bei Permakultur, Agroforst, Bio und ökologischer Leistungsnachweis (ÖLN)

Landwirtschaftsbetriebe, die nach den Anforderungen des ökologischen Leistungsnachweises (ÖLN) wirtschaften, prägen mit oft hektargrossen Einfrucht-Flächen das heutige Landschaftsbild. Die Betriebe müssen auf mindestens 7 % der Nutzfläche Biodiversitätsförderflächen anlegen (in der Abbildung: hellgrüne Streifen).

Bio-Betriebe sind meistens vielfältiger, es gibt jedoch auch grossflächige Bio-Monokulturen. Agroforst kombiniert Bäume mit Ackerkulturen oder Tierhaltung, in den Baumreihen können jedoch immer dieselben Bäume stehen.

Die Permakultur-Landwirtschaft erkennt man an der grossen Vielfalt in jeglicher Hinsicht.

Landwirtschaftsbetriebe, die nach den Anforderungen des ökologischen Leistungsnachweises (ÖLN) wirtschaften, prägen mit oft hektargrossen Einfrucht-Flächen das heutige Landschaftsbild. Die Betriebe müssen auf mindestens 7 % der Nutzfläche Biodiversitätsförderflächen anlegen (in der Abbildung: hellgrüne Streifen).

Permakultur in der Praxis

Auf Permakulturhöfen erkennen wir die folgenden sechs Merkmale:

  1. Ökosystem-Landwirtschaft: Die Permakultur-Landwirtschaft orientiert sich an natürlichen Ökosystemen. Das bedeutet: Dauer-/Mischkulturen mit Bäumen, Hecken, Sträuchern, Gemüse, Kräutern, Getreide und allenfalls Tieren; dauernde Bodenbedeckung mit Pflanzen oder Mulchmaterial, Nützlinge und Synergien fördern statt Schadorganismen bekämpfen; minimale Bodenbearbeitung, Förderung des Bodenlebens und der Bodenfruchtbarkeit, Humusaufbau (regenerative Landwirtschaft).
     
  2. Vielfalt als Permakultur-Prinzip: Auf Permakulturhöfen findet man eine grosse Vielfalt an Lebensräumen, Kulturen, Pflanzen und Tieren, Vielfalt an Arten und Sorten, an Produkten und Dienstleistungen, Vielfalt an Menschen, Arbeits-, Zusammenarbeits- und Beziehungsformen. Produktion und Biodiversitätsförderung schliessen sich nicht aus: Die Produktionsflächen weisen auch eine hohe Biodiversität auf und naturnahe Elemente wie Hecken werden vielfältig genutzt. Vielfältige Systeme sind stabiler und resilienter als einfältige.
     
  3. Optimale Standortanpassung: Die Permakultur-Landwirtschaft wird optimal dem Standort angepasst. Die kostenlosen Ökosystemleistungen wie Licht, Wärme, Wasser, Boden, Bodenleben, Mykorrhiza, Nützlinge, Synergien in Mischkulturen werden optimal genutzt. Mit geringem Input an zusätzlicher Energie wird ein hoher Ertrag erzielt.
     
  4. Ressourceneffiziente Produktion gesunder Lebensmittel: Ebenso wichtig ist jedoch die Frage, welche Lebensmittel produziert werden. Die meisten Ernährungslehren, auch die „Schweizer Lebensmittelpyramide“, empfehlen: Viel Salat, Gemüse, Pilze, Obst und Beeren, ausreichend Getreideprodukte, Kartoffeln und Hülsenfrüchte, nur wenig Fisch, Fleisch, Milchprodukte und Eier.
     
  5. Permakulturhöfe produzieren vorwiegend pflanzliche Lebensmittel. Tiere werden als „Mitarbeitende“ im Freiland gehalten und ausschliesslich graslandbasiert und mit hofeigenen Nebenprodukten gefüttert. Massentierhaltung, Zukauf von Kraftfutter und reine Futter- oder Tierproduktion auf Ackerflächen sind weder standortangepasst noch ressourceneffizient und auf Permakulturhöfen undenkbar.
     
  6. Hohe Wertschöpfung auf dem Hof: Auf Permakulturhöfen werden die Rohprodukte weiterverarbeitet und auf vielfältige Weise direkt vermarktet. Permakulturhöfe sind oft auch kulturelle Treffpunkte, Lebens-, Erlebnis- und Bildungsräume für verschiedenste Menschen.

Ein Permakulturhöfe-Netzwerk

Im Jahr 2015 wurde der Verein Permakultur-Landwirtschaft gegründet, um die Permakultur als sozial, ökologisch und ökonomisch besonders nachhaltige Form der Lebensmittelproduktion über die Bewirtschaftung von Selbstversorgungsgärten hinaus auf Landwirtschaftsbetrieben zu fördern und unter Konsumenten und Konsumentinnen bekannt zu machen. Die Mitglieder engagieren sich dafür, dass Wissen und Erfahrungen aus der Permakultur an den landwirtschaftlichen Schulen und im Rahmen von Beratungen und Weiterbildung allen Interessierten zugänglich gemacht werden. Zentrales Anliegen ist, Höfe aufzuzeigen, auf denen Permakultur-Landwirtschaft praktiziert wird. Die Schweizerkarte der Permakultur-Höfe umfasst derzeit elf Höfe. In den nächsten Jahren möchten wir etwa zwanzig weitere Höfe aufschalten und im Rahmen eines Förderprojekts professionell dokumentieren. Die Karte erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Hinweise auf Permakultur-Höfe nehmen wir gerne entgegen.

Unsere Vision sind Permakultur-Höfe im umfassenden Sinn (earth care, people care, fair share). Als Weg zur Permakultur-Landwirtschaft verstehen wir jedoch jeden einzelnen Schritt eines Landwirtschaftsbetriebs in Richtung Permakultur. Die Umstellung der Pflugbearbeitung auf minimale Bodenbearbeitung mit Mulchsaat oder Direktsaat ist im Sinne der permanenten Bodenbedeckung ein solcher Schritt, ebenso die Direktvermarktung im Sinne der „Solidarischen Landwirtschaft“. Nebst dem Besuch der Internetseiten legen wir allen Interessierten einen lebhaften Besuch auf diesen Höfen ans Herz!

Ist Permakultur-Landwirtschaft das neue Bio?

Derzeit wird über die schweizerische Agrarpolitik ab dem Jahr 2022 diskutiert. Im Bericht zur AP22+ finden sich die bekannten Begriffe wie Nachhaltigkeit, Biodiversität, Versorgungssicherheit, Ressourceneffizienz usw. Dazu kommen die Förderung der Innovation, der Betriebsvielfalt und des Quereinstiegs in die Landwirtschaft sowie die Weiterentwicklung des ökologischen Leistungsnachweises, Begriffe die wir als Chancen für die Permakultur-Landwirtschaft erkennen.

Die Vorzüge der Permakultur in der Landwirtschaft durften wir zusammen mit Vertretern des Vereins Permakultur Schweiz beim Bundesamt für Landwirtschaft persönlich vorstellen. Als erster Erfolg wird Permakultur, definiert als „kleinräumige Mischung verschiedener Kulturen mit mehr als 50% Spezialkulturen“, ab dem Jahr 2020 mit Code725 in den Flächenkatalog der landwirtschaftlichen Kulturen aufgenommen.

Doch wer Permakultur in der Landwirtschaft betreiben will, muss oft nach wie vor rechtliche und administrative Hürden überwinden. Die heutige Permakultur-Bewegung erinnert an die Pionierzeit der Biobewegung. Wir sind zuversichtlich, dass sich die Permakultur-Landwirtschaft zur zukunftsorientierten Form der standortangepassten und ressourceneffizienten Lebensmittelproduktion entwickeln wird. Mit Blick auf den Klimawandel, die Pestizidbelastung des Wassers, den Bodenverlust und den Verlust an Biodiversität kann die Permakultur-Landwirtschaft zum „neuen Bio“ werden. Für die „Agrarwende“ braucht es jedoch nicht nur innovative Landwirtinnen und Landwirte, sondern auch ein bewussteres Einkaufs- und Ernährungsverhalten von uns Konsumentinnen und Konsumenten.

 


Hans Balmer ist Dipl. Kultur-Ingenieur ETH. Er hat einige Jahre die Fachstelle Landwirtschaft und Familiengärten der Stadt Zürich geleitet und ist heute Gewässerschutzberater beim Kanton Zürich. In der Freizeit zieht er als Präsident des Vereins Permakultur-Landwirtschaft, Vernetzer und Botschafter für die Permakultur-Landwirtschaft durchs Land.

hans.balmer@permakultur-landwirtschaft.org

www.permakultur-landwirtschaft.ch

Nach oben