Hymne auf mein Zitronenbäumchen

Permakulturelles Denken erklärt am Beispiel einer Nutzpflanze im Topf


Zitronenbäumchen – Erfahrungen von Kurt Forster

von Kurt Forster

Es dient mir als Symbol für die Änderung unseres verbrauchsorientierten Lebensstils und als Symbol für zukunftsgerichtetes, vernetztes und konstruktives Denken und Handeln: mein Zitronenbäumchen. Zu meinem fünfzigsten Geburtstag bekam ich es von meinen Berufskollegen geschenkt, 30 Zentimeter war es damals hoch. »Was soll ich damit?« war mein erster Gedanke. Aber als Permakultur-Designer wusste ich, dass ein Problem, stets eine Aufforderung ist, eine kreative, positive Lösung zu finden. Für mich war es eine Herausforderung eigene nach Permakulturidealen produzierte Zitronen heranzuziehen; ohne Fremdenergie-, Pestizid und Kunstdüngereinsatz.

Optimales Klima? – Klimaverbesserung!

War es nicht eine verrückte Idee, an meinem Heimatort in Herisau auf 800 m Höhe nördlich der Alpen eigene Zitronen zu produzieren?! Aus langjähriger Erfahrung wusste ich: entweder man baut die Pflanzen an, die für den vorhandenen Boden, die Sonnenexposition und das örtliche Klima geeignet sind oder man muss den gewünschten Pflanzen die Lebensbedingungen bieten, die für ihr Wachstum ideal sind. Also galt es die optimalen Lebensbedingungen für mein Zitronenbäumchen zu schaffen.

Seit 25 Jahren ernten wir nun das ganze Jahr über Zitronen. Dies ist mir folgendermassen gelungen: Das Bäumchen steht von Mitte Mai bis Ende Oktober, bis die ersten Fröste kommen im Freien vor einer südexponierten Mauer. Im Winter wandert es in unser unbeheiztes Gewächshaus. Dank raffinierter Technik sinkt die Temperatur nie unter den Gefrierpunkt. Es übersteht im hellen, kühlen Gewächshaus, ähnlich dem Klima im Mittelmeerraum, den Winter sehr gut. Vor allem leidet es nicht unter Schädlingen, wie dies oft bei zu warmer, lichtarmer Haltung im Wohnhaus passiert.

Ende Februar, wenn die Sonne ins verschneite Gewächshaus scheint, gibt es eine starke Lichtzunahme und damit verbunden einen herrlich duftenden Blütenschub, für uns wie Vorboten des Frühlings, für die Seele eine wahre Wohltat. Es ist für mich auch heute noch fast unglaublich, dass unser mittlerweile zwei Meter hohes Zitronenbäumchen das ganze Jahr über blüht und gleichzeitig kleine Zitronen, halbreife und erntbare Früchte trägt. So versorgt es uns ganzjährig mit eigenen, ungespritzten Zitronen. Diese sind besonders begehrt da ihre Schalen bedenkenlos in Saucen, Kuchen oder andere Gericht geschabt werden können, weil sie weder mit Pestiziden gespritzt noch zur Haltbarmachung mit Wachs überzogen sind. Der frische Saft ist herrlich in Salatsaucen und Getränken. Es ist grossartig sich zu jeder Jahreszeit mit eigenen frischen Vitamin-C-Portionen stärken zu können!

Bodenaufbereitung und Nährstoffversorgung

Am Anfang pflanzte ich das Bäumchen in einen Tontopf von ca. 60 Zentimeter Durchmesser. Ich füllte ihn mit 2/3 Erde, etwas Vulkangries und ausgereiftem Kompost. Das Zitronenbäumchen wurde seit 20 Jahren nie umgepflanzt und trotzdem geht es ihm ausgezeichnet. Warum? Ich düngte es stets mit verdünntem Harn und stärkte es mit etwas Kräuterbrühe. Die Wildkräuter für die Kräuterbrühe aus Brennnesseln, Beinwell und Schachtelhalm stammen aus den Wildniszonen unseres Gartens. Diese zerkleinerten Kräuter setzte ich in einem grösseren Kübel an und überpudere sie vor dem Gärungsprozess mit verschiedenen Steinmehlen. Als Langzeitdünger bekommt das Zitronenbäumchen zusätzlich noch Hornspäne, nämlich unsere geschnittenen Zehen- und Fingernägel. Seit 20 Jahren hat sich dieses Kreislaufverfahren mit Eigenressourcen bewährt und das Bäumchen wächst ohne Topfwechsel kräftig und gesund heran.

Auf der Terrasse wird gestapelt

Um die knappe, südorientierte Sitzfläche unter dem Balkon optimal mit Nahrungspflanzen zu nutzen, stellen wir unter unser Zitronenbäumchen noch Töpfe von Peperoncinis und Tomaten. Dieses Stapeln, also das Mehrfachnutzen der der Bodenfläche, ist ein weiteres Permakulturprinzip. So gelingt es uns auf nur 1,5 Quadratmetern Tomaten und Peperonis in kleineren Töpfen als Unterpflanzung zu ziehen. Dies ist ein anregendes Beispiel, wie man auf einem kleinen Balkon möglichst viel Nahrung produziert.

Im Winter, wenn die Sonne bei uns oberhalb dem Nebelmeer ins Gewächshaus scheint und es aufheizt, geniessen wir unseren Nachmittagstee sehr gerne im grünen Glashaus neben unserem Zitronenbäumchen. Es schenkt uns mit seinem erfrischenden Blütenduft und den gelben Früchten ein tiefes Wohlgefühl und hilft uns die kalten, oft schneereichen Wintermonate genussvoll zu überstehen. Wir spüren hier auch im Winter ganz tief das Wunder
Natur und das Einssein mit ihr, weg von der täglichen Hektik und jenseits des Proftidenkens. Es ist eine kleine romantische Rückzugsecke zum Lesen und zum Philosophieren. In diesen Momenten denke ich in Dankbarkeit an die Kolleginnen zurück, die mir dieses wundervolle Zitronenbäumchen geschenkt haben.

Weite Transportwege und Wasserraub

Wie lohnenswert es ist, eigene Zitronen anzubauen, wird mir auch bewusst, wenn ich meine Gedanken weiter schweifen lasse: Denn woher kommen unsere Zitrusfrüchte? Aus Südspanien, Israel oder gar aus Südamerika? Auf jeden Fall haben sie einen weiten Weg hinter sich, der viel Erdöl verschlingt und mit den schadstoffreichen Abgasen der Transportschiffe die Luft verdreckt und vergiftet. Durch Eigenproduktion am Wohnort können wir einen kleinen Beitrag leisten, um den Erdölverbrauch zu senken, weniger Kohlendioxidausstoss und geringere Luftverschmutzung zu verursachen und weniger Trinkwasser zu verschwenden. Denn 70% unseres Süsswassers wird in der Landwirtschaft verbraucht. An vielen südlichen Anbauorten wie etwa in Kalifornien, Südspanien und Nordafrika vertrocknen weite Gebiete durch die Grundwasserentnahmen für die Bewässerung der riesigen Fruchtplantagen. Mit jeder importierten Zitrone oder Orange rauben wir dem Anbauland 80 Liter Wasser. Um diesen virtuellen Wasserklau zu verhindern ist es wichtig, eigene Früchte anzubauen oder diese Plantagen mit Hausabwasser zu tränken. Wir in Mitteleuropa besitzen heute noch reiche Wasserreserven. Aber wie wird es in einigen Jahrzehnten sein, wenn unsere Gletscher weggeschmolzen sind?

Um diesen Trinkwasserverbrauch zu verringern, uriniere ich in ein Plastikgefäss und fülle es mit gesammeltem Regenwasser im Verhältnis 1:5 oder 1:10 auf um die Mischung als Dünger zu verwenden. Damit spare ich die Wasserspülung der Toilette. Ein gutes, wegweisendes Beispiel für wassersparendes Verhalten in grösserem Massstab und um die Nährstoffe wieder in den Kreislauf zu bringen ist übrigens die Olson Hotelanlage ob Playa de Santiago auf La Gomera. Dort wird das Hotelabwasser für die Bewässerung einer grossen Zitrusfruchtplantage verwendet.

Aussergewöhnliche Experimente starten

Eigene erfolgreiche Versuche wie der Zitronenanbau locken mich immer wieder aufs Neue, aussergewöhnliche Anbauexperimente zu wagen und Pflanzen wie Reis, Süsskartoffeln, Zitronengras, Dreilappige Papau (Pawpaw), Olivenbäumchen und weitere Nahrungspflanzen zu ziehen. Mein Tipp: Ob einheimische Nutzpflanze oder Exot, wer sich neuen Arten widmet tut gut daran, sich jeweils nur einen Neuling vorzunehmen, seine Lebensbedingungen zu erforschen und sie dann möglichst optimal herzustellen.

 


Bereits erschienen in der Zeitschrift Natürlich Gärtnern vom Organischer Landbau Verlag (OLV).

Kurt Forster: Mein Selbstversorger-Garten am Stadtrand – Permakultur auf kleiner Fläche, Ökobuch, 2016, 125 Seiten

 

 

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