Flechten – eine ungesehene Nahrungsquelle

Neues für den Teller kurz vorgestellt


Foto: Julia Schwarz

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von Julia Schwarz

Die Bevölkerung wächst, Ernten entfallen, das Klima wird extremer - welche Alternativen bleiben uns, um den prognostizierten Nahrungsengpass abzuwenden?

Neben den hoch gehandelten Algen und Insekten besitzen auch besonders Flechten großes Potenzial als Nahrungsquelle der Zukunft.

Die Erde umfasst ca. 70% Wasser und 30% Land, wovon 10% unfruchtbar und 10% Wälder/ Seen/bebaut sind. Für die Landwirtschaft stehen etwa 7,5 % für Viehzucht und 2,5 % Ackerland zur Verfügung. Somit ist die Landfläche sehr begrenzt. Überdüngung, Bodenversiegelungen und exzessiver Ackerbau setzen den Böden sehr zu. Diese Aspekte sind alarmierend.

Es stellt sich nicht zum ersten Mal die Frage, was Menschen in vergangenen Nahrungsengpässen gegessen haben. Recherchen in unterschiedlichen Kulturen brachten mich hier zu Flechten. Diese kleinen oft übersehenen Lebewesen sind Pioniere in der Nahrungskette. Sie können unter extremsten Bedingungen wachsen, besonders wenn nichts anderes mehr gedeiht. Gehören Flechten nach Gletscherschmelzen und auf kargen Böden zu den ersten Organismen welche sich ansetzen und sich ausbreiten.

Moose und Flechten werden oft verwechselt. Tatsächlich sind Flechten aber eine eigene Spezies, sie sind Organismen aus Algen, Pilzen und teilweise Cyanobakterien. Dies macht sie auch so widerstandsfähig und nährstoffreich. Moose im Gegensatz dazu sind nährstoffarm. Flechten produzieren viele wertvolle Substanzen, die sogar in der Medizin sehr einflussreich sind, wirken antiviral und antibakteriell. Sie sind auch sehr vitamin-und nährstoffreich enthalten Vitamine B12, D2, D3, Eisen und anderes.

Studien haben gezeigt, dass trotz ihrer Rolle als Futterquelle von Tieren, das Flechtenwachstum stetig steigt - beispielsweise im Gebirge, wo andere Pflanzen weniger Chancen haben. Das Flechten unter extremen Umständen noch besser gedeihen, bringt ihnen enormes Potenzial. Einige Flechtenarten sind so widerstandsfähig, dass sie sogar am Mars überleben können. Das wurde auf der Internationalen Raumstation ISS getestet.

Flechten essen?

Mit der Frage, ob und wie man Flechten essen kann beschäftigte ich mich sehr intensiv. Das Buch “praktische Anweisung zum Gebrauche der isländischen Flechten als Ergänzungsmittel des Brotkorns “ von J. Bayrhammer, erschienen 1818, bot einen guten Überblick: In einer Hungersnot in Nordeuropa wurde die isländische Flechte als nährender Zusatz für Nahrungsmittel und Getränke erforscht. Einige hilfreiche Anwendungshinweise wurden aufgezeigt. Auch wird beschrieben, dass Flechten tatsächlich den erwünschten Nutzen brachten. Das unglaubliche Resultat - Menschen mussten nicht mehr verhungern und die Krise konnte überwunden werden. Sobald die Hungersnot beendet war, begann man wieder andere Lebensmittel zu konsumieren, da die Geschmacksnoten der Flechtengerichte oft zu bitter war. Flechten wurden aber bereits von einigen Völkern und Kulturen in Regionen mit vermehrtem Vorkommen als Nahrungsmittel zubereitet.

Einige Beispiele: An der Westküste Kanadas und Alaska machte man Brot aus der Wila Flechte, ein beinahe komplett schwarzes, nahrhaftes Brot. In Südkorea und Japan gibt es ein Gericht, gilt eher als Delikatesse, wo Flechten als Salat gegessen werden.

In Indien ist eine Flechte (Dagaphool, Kalpasi) Grundzutat von verschiedenen Curry Gerichten. Aquavit, das Nationalgetränk von Norwegen und Schweden, wurde ursprünglich aus Flechten gebrannt. In Nepal isst man Flechten sogar zu Blutwurst, als Salat oder auch gebraten.

Durch die Zusammenarbeit mit Flechtenologen aus Österreich, Deutschland und der USA konnte eine ganze Reihe an verschiedenen Flechtenarten als Lebensmittel erprobt werden. Man darf nicht davon ausgehen, dass alle 20.000 Arten genießbar sind. Es wird auch bald einen Guide zu essbaren Flechten geben.

Flechten ernten?

Für das Ernten ist der Zeitpunkt ausschlaggebend: In der kälteren und/ oder feuchteren Jahreszeit ist es einfacher sie zu finden und zu ernten. Sobald die Flechten trocken sind, brechen sie leichter. Verschiedene Werkzeuge dafür habe ich für meine Diplomarbeit erprobt. Eine Prototypen-Selektion gibt es bereits.

Flechten findet man überall, weltweit. Obwohl sie relativ winzig erscheinen, ergeben sie eine große Biomasse. Aufgrund der Berechnungen von Mathematiker Stanislaus Laki haben wir nun Anhaltspunkte. Die weltweite Biomasse der Flechten beträgt rund 7% und ist so groß, dass im Verhältnis zu 100% Flechtenmenge nur 0,058% Weltbevölkerung stehen. Geht man davon aus, dass circa 20% davon essbar sind, könnte die gesamte Weltbevölkerung ca. 9.500 Jahre rein von Flechten leben.

Beim Ernten von Flechten müssen wir beachten, dass diese sehr langsam wachsen und einige Flechtenarten auch teilweise geschützt sind. Sie dienen der Wissenschaft hauptsächlich als Bioindikator. Bei größeren Erntemengen muss darauf geachtet werden, dass immer genug stehen bleiben. Flechten können im richtigen Umfeld vermehrt werden. Sie sind bislang offiziell nicht als Lebensmittel zulässig. Bereits bekannt ist jedoch der “Islandmoos” Tee, den man auch als solchen beziehen kann. Islandmoos wird auch bei Magen -und Darmbeschwerden von Tieren unter anderen bei Pferden ins Fressen untergemischt.

Eine Aufgabestellung während meiner Diplomarbeit war für mich, Flechten so zuzubereiten, dass sie bekömmlich und wohlschmeckend sind. Dazu waren viele Experimente notwendig. Jedoch erfolgreich! Die kleinen bunten Bewohner von Bäumen und Steinen können tatsächlich sehr bitter schmecken, was sie grundsätzlich bekömmlicher macht und sich gut auf Magen und Darm auswirkt. Wenn man durch einweichen, vorkochen etc. Bitterstoff ausschwemmt reduzieren sich die Bitterstoffe. Durch das Mischen mit Grundnahrungsmitteln wie zum Beispiel Mehl, Samen, Nüssen, Öl oder auch Beeren; aber auch durch Kochen oder schnelles Erhitzen werden die Flechten gut in die Gerichte inkludiert. Der unverwechselbare Geschmack kommt meist durch und kann sowohl pikant als auch süß ausfallen. Erste geschmackliche Highlights gibt es aber bereits bei organisierten Flechtenessen und Workshops, wo wir zeigen konnten wie man Flechten sammelt und zubereitet. Am Buffet gab es neben Flechtenbrot auch Pesto, Salat und Tee zu verkosten.

Es gibt noch viele offenen Fragen beispielsweise zu tatsächlichen Mengen an Nährstoffen in den Flechten, auch für ein vermehrtes Wachstum wird noch experimentiert und in der Medizin mit einigen Flechtenwirkstoffen geforscht.

 


Rezept Flechtenpesto:

  • 200g Mandeln oder Sonnenblumenkerne gemahlen
  • 1 Zehe Knoblauch
  • ca. 120g (Island)flechte gekocht, ausgekühlt
  • 50 ml Raps- (Sonnenblumen-) Öl
  • 1 Prise Steinsalz
  • ein Schuss kaltes Wasser

Die Mengen sind nach Belieben variierbar

 

Mehr zum Diplomprojekt "Unseen Edible" von Julia Schwarz findest du auf ihrer Webseite.

Bereits erschienen im Permakultur Magazin, Ausgabe 2020 für Vereinsmitglieder. Hier kannst du Mitglied werden und dem Permakultur Institut e.V. beitreten.

 

 

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