Bio oder konventionell = gut oder böse?

Wir brauchen einen neuen Blick auf die Landwirtschaft


von Volker Croy

Ökologische Bilanzen wie der CO2-Fußabdruck oder der Wasserverbrauch von Lebensmitteln verraten viel über die Herstellungskosten und den Energieaufwand, den diese Produkte benötigen. So zeigen Biolebensmittel einen deutlich höheren CO2-Verbrauch als die konventionelle Alternative. Da fragt man sich, wie kann das sein? Die Antwort ist simpel: Der Ökolandbau erntet weniger. Auch wenn der Energieverbrauch pro Hektar Ackerfläche ähnlich ist, so ist es die Erntemenge nicht. Im besten Fall erntet ein Biobetrieb 2/3 des konventionellen Ernteguts. Das heißt, auch wenn der Energieverbrauch pro Hektar ähnlich ist, liegt er pro Kilogramm Kartoffeln oder pro Kilogramm Mehl weit darüber. Der Hauptgrund hierfür ist die verringerte Bandbreite an einsetzbaren chemischen Pflanzenschutzmitteln. Dadurch muss der Bioanbau auf andere Pflanzenschutzmaßnahmen umschwenken. So kann man Pilzkrankheiten, anstatt sie tot zu spritzen, durch größere Reihenabstände vermeiden, weil dadurch der Bestand schneller nach einem Regen abtrocknet und die Pilze ohne einen Wasserfilm sich nicht auf den Pflanzen ansiedeln können. Auch mechanische Unkrautbekämpfung beziehungsweise »Beikrautregulierung« braucht mehr Platz zwischen den Pflanzreihen als Totalherbizidanwendung vor der Kultur.

Entscheidend ist, was auf dem Feld passiert

Und was ist mit der Bioqualität, das heißt der Umweltfreundlichkeit von Biolebensmitteln? Was die Giftigkeit für Natur und Boden angeht, muss man sagen, kommt es darauf an, was der Bauer/Gärtner macht – und zwar unabhängig davon, ob es ein konventioneller oder ein »Bio«-Betrieb ist. Ich halte es für einen Fehler sich an Biobetrieben zu orientieren, es gibt ja auch dort Massentierhaltung. Zum Beispiel erlaubt Bioland bei Legehennen 3000 Tiere pro Stall, bis zu sechs Tiere sollen sich einen Quadratmeter teilen und pro Betrieb können unbegrenzt Stallmengen vorhanden sein, die Tiere werden nur nach Betriebsfläche begrenzt (vergleiche Biolandrichtlinien Stand Januar 2018). Bei Demeter sind es maximal 16 Kilogramm Huhn pro Quadratmeter Stall, was je nach Rasse 5 bis 26 Tiere pro Quadratmeter bedeutet (Demeterrichtlinien Stand Januar 2018). Auch wenn das jeweils weniger Tiere pro Quadratmeter als bei konventioneller Massentierhaltung sind, sieht tierfreundlich doch anders aus. Wir sollten nicht der Werbung auf den Produkten oder im Markt glauben.

Wenn wir Kohlenstoffdioxid sparen wollen, essen wir konventionell vom Großbauern, weil der einfach mehr erntet. Wollen wir die heimische Insektenwelt erhalten und kein Glyphosat im Trinkwasser, sollten wir bio oder einen mit Netzen und Folien wirtschaftenden Gartenbaubetrieb bevorzugen, möglichst auch einen größeren oder jüngeren.

Oft wirtschaften die größeren Betriebe sauberer, weil sie sich die besser ausgebildeten Mitarbeiter leisten können, bei neueren Betrieben sind meist die Chefs aktueller ausgebildet. Bio-Betriebe sind dann richtig gut, wenn sie Folien und Netze einsetzen, um auf die Pestizide wie zum Beispiel Pyrethrine, Neem und BT, Akarizide wie Mineralöl und Fungizide wie Kupfer vollständig verzichten. Auch konventionelle Betriebe können das. Nur die Prüfung fällt schwer, denn die Siegel sind nicht ausreichend aussagekräftig.

Die energetische Bilanz, aber auch die damit einhergehende Umweltbelastung ist bei biozertifizierten Produkten oft höher, als bei konventionellen. Um wirklich nachhaltig zu wirtschaften, braucht es also mehr oder etwas anderes als eine Biozertifizierung.

Bioanbau? – Eine Sackgasse!

Viele verstehen den Bioanbau falsch. Dieser wurde gegründet, damit sich der Mensch gesund und »natürlich« ernährt. Weder glückliche Tiere noch Schutz der Umwelt sind Primärziele, diese sind erst später dazu gekommen und werden auch so behandelt. Der Bioanbau basiert auf festen Dogmen, die zum Beispiel durch Kupferverwendung, Mineralöleinsatz oder Verbot von Mulchpapier mittlerweile fraglich sind. Aus meiner Sicht ist Bioanbau eine Sackgasse, weil er dogmatisch ist und sich schlecht neuen Dingen anpassen kann. Besser sind permakulturelle Ansätze (solang sie nicht dogmatisch sind) oder die regenerative Landwirtschaft. Es gibt auch ein paar alte, gut wirtschaftende Bauern und auch einige wenige solcher Kleinbetriebe. Aber vor allem junge Bauern und Gärtner haben neue Ideen und brechen aus alten Denkweisen aus. Da ist es egal, ob sie »bio« oder »konventionell« sind. Denkt an die solidarischen Landwirtschaftsbetriebe (Solawi), die sind fast alle konventionell wirtschaftend. »Konventionelle Landwirtschaft« ist nach gängigem Recht all das, was kein Bio-Siegel trägt. Konventionell heißt nicht, dass ich die Natur vergiften muss, der Bauer hat die Wahl. Bio heißt nicht, dass ich die Umwelt schone, auch hier hat der Bauer die Wahl, ist aber dabei eingeschränkter; sowohl positiv, als auch negativ.

Jeder konventionelle Bauer kann wie ein Biobetrieb wirtschaften, muss es aber nicht. Bio zeichnet sich nur durch ein Zertifikat aus, dass nach bestimmten Dogmen gewirtschaftet wird. So kommt es vor, dass es Bio-Betriebe gibt, die durch Kupfer, Pyrethrine, Neem, BT oder Mineralöleinsatz die Natur mehr vergiften als manche jungen, ökologisch überzeugten konventionellen Landwirte.

Viele solidarischen Landwirtschaftsbetriebe sind beispielsweise konventionell wirtschaftend. Dafür mit Mulchfolien und Insektenschutznetzen statt der im Bioanbau zugelassenen Insektizide. Ich kenne es von DeinHof, einer Gärtnerei-Solawi bei Dresden. Sie sind nicht bio zertifiziert, arbeiten dafür aber mit Netzen und sind viel insektenfreundlicher als Biobetriebe, die Insektizide wie Neem oder Pyrethrine einsetzen.

Böse Chemie, gute Naturstoffe?

Ganz lassen sich Pestizide in der Landwirtschaft wohl nicht vermeiden, aber ich kann harmlosere wie Seifenlösung, Pflanzenöle oder Schwefelverbindungen verwenden, die Pflanzabstände größer wählen und mit mehr Hygiene im Betrieb arbeiten. Dazu muss sich aber der Bauer entscheiden. Wir können ihm bei der Entscheidung helfen.

Die ältere Generation Bio-Bauern hatte ideologisch nur etwas gegen »böse Chemie«, das sieht man deutlich bei der Auswahl der Mittel. So waren noch giftige, aber natürliche Mittel wie Mineralöl, zum Beispiel gegen Milben im Apfelanbau, oder Kupfer, gegen alles pilzliche, als Spritzmittel erlaubt (und sind es noch immer, aber eingeschränkter). Die jüngere Generation kommt allmählich davon los. Dies geht mit Grabenkämpfen und viel Diskussionen in den Bioverbänden voran, aber die Entwicklung ist äußerst positiv.

Bei Düngern wird bei Bio lieber schwermetallhaltiger »natürlicher« Dünger (zum Beispiel weicherdige Rohphosphate) als chemisch gereinigter verwendet, beziehungsweise letzterer ist verboten. Kreislaufwirtschaft durch Klärschlammverwendung verbietet der Bioanbau gleich mit, anstatt Qualitätsanforderungen an die Klärschlämme zu stellen.

Auch bei den konventionellen Anbauern gibt es mehrere Lager, die einen, die mit mehr Wissen und Technik voran kommen wollen, jene die mehr auf die Natur achten (auch teilweise mit viel Technikeinsatz) und jene die weitermachen wie gehabt und so seit der Einführung des integrierten Anbaus 1990, wo nicht mehr sofort, sondern nach »Schadschwellen« gespritzt wird, wirtschaften. Die »Schadschwellen« sind erreicht, wenn der Schaden durch den Schädling größer ist als die Kosten des Spritzeinsatzes. So wird nicht mehr ab der ersten Blattlaus gespritzt, sondern erst ab der 100sten (fiktives Beispiel). Man sollte immer bedenken, dass der biologische Anbau ein abgewandelter konventioneller Anbau ist.

Welternährung schon heute kein Problem

Kann die zukünftige Landwirtschaft die zukünftige Welt ernähren? Diese Frage impliziert, dass die heutige es nicht kann. Wenn wir das glauben, sind wir der Großkonzern- und Gentech-Lobby auf den Leim gegangen. Oft höre ich in Öko-Kreisen, dass wir zu viele Menschen auf der Welt sind und wir uns deswegen nicht ernähren können. Das ist falsch. Denn wir können uns JETZT schon komplett ernähren. Momentan erwirtschaften die bei der FAO (Landwirtschaftsorganisation der UNO) gelisteten Länder genug Nahrung für 18 Milliarden Menschen, wenn man nur die zehn Hauptkulturen zusammenzählt. Da fehlen noch »Nischenkulturen« wie Roggen oder Hirse, die ganze Länder ernähren. Schauen wir in die Agrarstatistiken der FAO, wie viel aus den Betrieben heraus geht (das sind »Hoftorbilanzen«, die Ernte liegt normalerweise 10 bis 20 Prozent höher), und schauen wir wie viel Energie ein Mensch pro Tag braucht und dann rechnen wir es durch. (18 Milliarden ergibt sich aus der Menge und 2500 kcal/Tag/Mensch im Schnitt. Feld- und Bauarbeiter benötigen mehr, Kinder und Rentner weniger.)

Bei dieser Rechnung wird auch klar, dass es keine guten Argumente für den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen gibt, denn dadurch steigt weder die Erntemenge, noch sinkt der Pflanzenschutzmittelaufwand. Gentechnisch Veränderte Organismen sind einfach nur eine Möglichkeit über Patentrecht und fragliche Praxis die Bauern in Abhängigkeit zu zwingen.

Selbst bei einer theoretischen kompletten Umstellung auf Bio wäre noch genug Nahrung für 12 Milliarden Menschen da, obwohl Bio-Anbau weniger erntet als konventioneller. Also wo geht die Nahrung hin, wenn wir so viel haben und Menschen trotzdem verhungern? Die Antwort ist einfach: In den Müll. Denn das Problem, dass wir zu wenig haben, wurde mit der grünen Revolution gelöst. Dadurch wurde wirklich die weltweite Nahrungsknappheit beseitigt, wie beabsichtigt. Leider hat sie jedoch gleichzeitig den Hunger in einigen Teilen der Welt verfestigt, weil sie am falschen Punkt ansetzte. Wir haben nicht zu wenig Essen. Die Armen können es einfach nicht bezahlen. Daran liegt es. Nahrungsmittel sind nicht frei zugänglich, sondern kosten Geld. Und wer keines hat, hat keine Nahrung. Vor der grünen Revolution hatten viele Felder, um sich mehr schlecht als recht zu ernähren, aber es ging. Mit dem Verlust dieser Felder wird jetzt mehr produziert, aber die Menschen haben keinen Zugang mehr.

So hungern viele Menschen, aber gleichzeitig gibt es auch mehr Übergewichtige. 2017 lag die Zahl der WHO (Gesundheitsorganisation der UNO) für Übergewichtige (Angaben aus den dort gelisteten Ländern) bei 1,5 Milliarden und die Zahl der weltweit Hungernden bei 0,9 Milliarden (laut Rotem Kreuz). Aber anstatt das Problem anzugehen, wird über die Landwirtschaft gestritten und irre Vorschläge mit genetisch veränderten Pflanzen und Herbizidresistenzen und ähnlichem Vermarktungsblabla diskutiert. Übrigens kann ich mit normalem Hybridsaatgut mehr ernten als mit genetisch verändertem Saatgut, da letzteres reinerbig ist und auch die Eigenschaften von normalem reinerbigen Saatgut hat, welches dem Hybridsaatgut und dessen Heterosiseffekt unterlegen ist.

Auch die Diskussion Tank oder Teller ist sinnlos, denn ist es die Diskussion Tank oder Trog. Der erhöhte Fleischkonsum macht sich bemerkbar und konkurriert mit den Bio-Kraftstoffen um Flächen. Die aus meiner Sicht größte Perversion unseres Lebensmittelherstellungssystems sind Getreidekraftwerke. Davon gibt es in Deutschland mehrere in verschiedenen Größen. Sie verheizen nicht Stroh sondern ausschließlich Körner und gewinnen daraus Wärme und Strom, da Getreide momentan günstiger ist als Holz. Die Brenneigenschaften sind zwar schlechter, aber der Preis und die hohe Verfügbarkeit sind wichtige Größen.

Was tun?

Wenn wir die Welt durch unser Konsumverhalten zu einem besseren Ort machen wollen, dann müssen wir uns informieren und hinter die Kulissen schauen. Momentan nutzen viele Menschen die von Konzernen und Verbänden vorgegebene Slogans und Behauptungen als Argumente. Besser ist jedoch: Schaut euch die Betriebe an, wenn ihr könnt, lasst euch Technik und Erntemenge erläutern, schaut wie gewirtschaftet wird!

Aber das Wichtigste ist, immer zu zeigen, dass man mehr will als Standard-Anbau, dass man Bauern, die mehr leisten, auch finanziell besser dastehen lässt. Oder dass jene, die schlecht wirtschaften, benachteiligt werden. Langfristig muss ein Weg ohne fragliche Dogmen mit Verstand gefunden werden.

Sprecht zum Einleiten des Wandels nicht nur Landwirte und Gärtner, sondern auch Lokalpolitiker und Vertreter des Wissenschaftsbetrieb an. Übt Druck auf die Politik und Verwaltungen aus, damit der Wandel schneller vonstatten geht.

Gute, unterstützenswerte Ansätze sind aus meiner Sicht die Agroforstkampagne und die aufbauende Landwirtschaft. Denn diese wirtschaften sinnvoll mit unseren Ressourcen. Und auch gute, fähige Bauern sind eine wichtige Ressource.


Bereits erschienen im Permakultur Magazin, Ausgabe 2019 für Vereinsmitglieder. Hier kannst du Mitglied werden und dem Permakultur Institut e.V. beitreten.

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